Montag, 6. März 2017

Die Kunst des Prävenire


I.
In Deutschland geht die Angst um. Ein paar Bürgermeister maßten sich an, Erdogans Kampf für seine "präsidialdemokratische" Umgestaltung der Türkei auf deutschem Boden zu untersagen. Unverzüglich bekamen sie die Quittung von dem starken Mann am Bosporus: „Wenn ich will, komme ich morgen. Ich komme und wenn ihr mich nicht hereinlasst oder mich nicht sprechen lasst, dann werde ich einen Aufstand machen." Vor solchen Worten müssen wir, „die schon länger hier leben“ (Merkel), erzittern.

Oder ist´s vielleicht doch nicht ganz ernst gemeint? Schließlich ist der Mann unser Nato-Verbündeter. Bürgerkrieg im Lande der Verbündeten - "das geht gar nicht" (Merkel). Oder am Ende doch? Droht der AKP-Chef tatsächlich mit Taten, mit einer Massenerhebung von Erdogan-treuen Patrioten bzw. Doppelstaatlern in diesem unserem Land? Das revolutionäre Muster ist bekannt: erst Massendemonstrationen, dann Steinwürfe, gezielte Angriffe auf die Polizei, ein paar Molotow-Cocktails, ein paar Schüsse - von wem auch immer - und schon wären Tausende von waffengeübten Neubürgern auf den Barrikaden. Im Bürgerkrieg – selbst auf den Barrikaden – verwischen sich die Fronten. Unvorstellbar, dass sich Tante Antifa die Chance entgehen ließe, ihre Wut gegen alle Nazis – und das heißt gegen uns Krauts, die noch länger hier leben wollen – revolutionär zu entfalten.

Wie können wir einem solchen, von Erdogan angekündigten Bürgerkriegsszenario noch entgehen? Vermittels der aus der traditionellen Kriegskunst bekannten Technik des Prävenire. In Berlin, eher noch in Potsdam, am ehesten in Dresden, erinnert man sich  noch an den in Kriegskunst – Kriegsplanung, Strategie und Taktik – erfahrenen, mit Kriegsglück, sprich: durch Zufall, siegreich davongekommenen  großen Preußenkönig. Sein Denkmal steht seit Honeckers Zeiten wieder Unter den Linden, die um Fridericus Rex auf dem Sockel Versammelten, Heroen des Krieges und des Geistes, kennt hierzulande mutmaßlich fast niemand mehr. Wozu auch? Wir befinden uns in der posthistoire, wir sind gründeutsch, unversalistisch und – Ausnahme Kosovo, Afghanistan etc. - pazifistisch gestimmt.

II.
Und nun aus heiterem Himmel eine solche Drohung. Wie dem über Ditib, die türkisch-sunnitische Religionsbehörde, „in unser Land“ heineinregierenden Diktator entgegentreten? Wie den angedrohten Aufstand verhindern? Mit einer Gegenstrategie, mit Präventivmaßnahmen der Demokratinnen und Demokraten: beispielsweise zur Pazifizierung jugendlicher Neubürger mit der Gewährung des Wahlrechts für alle ab 16 Jahre, mit mehr gendergerechter Pädagogik, mit aggressionsminderndem Kampfsporttraining, mit Saudi-finanzierten Friedensmoscheen etc. Derartige Sozialisationstechniken werden junge Neubürger hindern, uns, die schon länger hier leben, zu verachten, als „Nazis“ zu beschimpfen und zu hassen.

Wie es scheint, hat Erdogan derartige, gegen seine neuosmanische Reichsausdehnung gerichtete deutsche Präventionsstrategien bereits frühzeitig erkannt und – kühl planend wie dereinst der preußisch-deutsche Generalstab - seinerseits das Prävenire des Prävenire ins Spiel gebracht. Um seine Wahlkampfauftritte durchzusetzen, hatte er schon vor seiner Bürgerkriegsdrohung den Nazi-Knüppel hervorgeholt. „Deutschland, ihr (sic!) habt keine Vorstellung von Demokratie. Eure Praktiken machen keinen Unterschied zu den Nazi-Praktiken in der Vergangenheit".

III.
Bei derlei Worten erzittert die gründeutsche Republik. Der Kolumnist Harald Martenstein – wegen seines ironischen Umgangs mit der gründeutschen Gegenwart der landesüblichen Suggestion „irgendwie rechts“ ausgesetzt – hat sich über das demokratische Diskursverfahren in Deutschland lustig gemacht: Wer sich in einer schwierigen Frage – etwa über die Zukunft dieses unseres Landes – gegen den Gegner durchsetzen will, muss als erster die Allzweckwaffe „Nazi“ hervorholen.
Womöglich hat Erdogan – über Martenstein unterrichtet von Deniz Yücel – den Nutzen der Technik des Prävenire erlernt.

IV.
P.S. In eigener Sache: Ulrich Siebgeber ist mir in seiner Kolumne über „Die Trauben vom Bosporus“ zuvorgekommen. Nichtsdestoweniger darf ich, in der Hoffnung auf Verständnis bei den Lesern (inkl. Siebgeber) für mein Zuspätkommen, obige Überlegungen zur Kunst des Prävenire in meinem Blog vorstellen.

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