Mittwoch, 21. Januar 2015

Fragen zu: Abendland, Charlie, Islam

I.
Welche Frage! Selbstverständlich sind wir - vorerst noch - alle "Charlie". Das Entsetzen, so real wie surreal,  über das Blutbad in Paris mündet langsam wieder in den Politalltag, in dem das Entsetzen über die Szenen in Frankreich den  Entrüstungen über "Pegida", über den Auftritt der  "Pegida"-Repräsentantin  in der Talkshow von Günther Jauch, sowie zuletzt - wieder  umgekehrt  - über das für vergangenen Montag, 19. Januar 2015, dekretierte umfassende Demonstrationsverbot in der Elbestadt  Platz macht. Plötzlich sollen die Bürger, die guten ohnehin,  von ihrem Demonstrationsrecht wieder Gebrauch machen dürfen. Mal sehen, was sich z.B. heute, Mittwochabend, 21.01.2015,  in Leipzig abspielt, wenn "Legida" auf  "Antifa" trifft...

Den Blogger bewegen  andere Fragen, vorab die einfache Frage: Was darf man? Genauer: Was darf man noch dürfen? Um die Frage weiter  zu präzisieren - und um die allfällige "Populismus"-Phrase abzuwehren: Welche Risiken geht der Blogger seitens jener reizbaren Gemüter ein, die "inzwischen" auch "zu uns"  gehören (Merkel), gar "unsere Söhne und Töchter" sind (Th. de Maizière), wenn er, digital ungeschützt, unz(w)eitgemäße Betrachtungen über ein Thema anstellt, von dem man  hierzulande lieber die Finger läßt: Wie hältst du´s, Mohammed,  mit Deiner Religion? Gewiß, man darf - man soll  - es auch mit grüner Soße übergießen. Selbst Tante Antifa bedient sich dieses Rezepts, um den globalen antiglobalistischen (früher: internationalen) Klassenkampf  -  und ihre spezifisch antideutschen  Kampfgelüste - zu befeuern.

II.
Es geht  zuvörderst um das Verhältnis der dem Propheten offenbarten Religion zur Gewalt, sodann um das Verhältnis von derlei Offenbarung zu aufklärerischer Vernunft,  und zum Verhältnis von - wenngleich vielfach schismatisierter - geistiger Monokultur und westlichem Wertepluralismus. In den Augen der Gläubigen erscheint das mit "Werten" ausgestattete System des Liberalismus sowie der zugrundeliegende,  zivilreligiös überhöhte Agnostizismus als Ausgeburt der Gottlosigkeit. Nicht umsonst sahen und sehen die Anhänger der islamischen Revolution im Iran - und nicht nur diese - in den USA den Großen Scheitan.

Es ist zu konstatieren, dass die sozioökonomische und/oder soziokulturelle Erklärung ("Auswuchs von Deprivation und Diskriminierung in den Ghettos/Banlieues") zur Erklärung des Djihadismus nicht ausreicht. In der FAZ (v. 20.01.2015) wurde "Das Guantánomo-Tagebuch" des seit 13 Jahren in Guantánamo gefangenen und gefolterten  Mohammedou Ould Slahi vorgestellt. Für die Amerikaner ist Slahi ein Terrorist aus dem innersten Zirkel von Al Qaida - sein Vetter war theologischer Berater von Usama Bin Laden -, der die - ehedem als Studenten nach Hamburg "migrierten" - Piloten der Anschläge vom 11. September 2001 angeworben haben soll.

Auch für den FAZ-Autor Hannes Hintermeier scheint die Rolle des in Guantánomo unter furchtbaren Bedingungen Eingesperrten nicht eindeutig zu sein. Slahi unternahm in den 1990er Jahren zwei Reisen nach Afghanistan, um sich dort Al Qaida im Kampf gegen den Kommunismus anzuschließen. Zur Erinnerung: Nach dem prosowjetisch kommunistischen Militärputsch in Kabul  (27.April 1978) unterstützten die USA von Anbeginn auch islamistische Aufständische wie den - zum Islamisten gewandelten - Ingenieur Gulbuddin Hekmatyar. Dieser fungierte 1993 - nach dem Sieg der Mudjaheddin über den "progressiven" Mohammed Nadjubullah (erhängt 1996) - vorübergehend als Ministerpräsident, anno 2001 bekannte er sich zu Al Qaida.

Der Autor Hintermeier skizziert die Persönlichkeit des aus Mauretanien stammenden (und mit Vorurteilen gegenüber schwarzen Afrikanern ausgestatteten) Slahi wie folgt: "Slahi spricht Arabisch, Französisch, Deutsch und mittlerweile Englisch [= die Sprache des ´Tagebuchs´]. Er ist hochintelligent und gläubig, den Koran kann er auswendig. Zwölf Jahre hat er in Deutschland mit seiner in der Zwischenzeit von ihm geschiedenen Frau gelebt, in Duisburg, wo er mit einem Stipendium der Carl-Duisberg-Gesellschaft Elektrotechnik und dann als Ingenieur in der Telekommunikationsbranche gearbeitet hat." Nach seinen Afghanistan-Reisen und einem kurzen Aufenthalt in Kanada kehrte er auf Wunsch seiner Mutter nach Mauretanien zurück. Auf der Heimreise  wurde er im Februar 2000 zum ersten Mal von FBI-Agenten verhaftet, verhört und wieder freigelassen. Nach den Anschlägen auf die Twin Towers (9/11)  wird er erneut verhaftet, zunächst als unschuldig eingestuft, sodann im November 2001 verschleppt....

III.
Die islamistischen Mörder der "Charlie Hebdo"-Redaktion sowie der aus Mali stammende Täter im jüdischen Supermarkt passen augenscheinlich hingegen in die vorherrschende  "Milieu"-Theorie (Der Spiegel 4/2015:  "Der Terror der Verlierer"). Insofern sich eine Al Qaida-Filiale im Jemen, dem Geburtsland Usama Bin Ladens, zur Urheberschaft des Pariser Attentats bekannt hat, ist damit indes nichts erklärt. Es bleibt als Faktum:  Die islami(ist)ischen Attentäter zielten nicht auf Exponenten der radikalen Rechten Frankreichs, sondern auf  eine Frontagentur der radikalen französischen Linken, id est der gottlosen Verächter ihrer Religion und ihres Propheten.

Vor diesem mit  Begriffen wie Globalisierung, Migration, Pluralismus, Toleranz, Vielfalt usw. ausgestatteten Hintergrund ist ein Aufsatz "Der Islam und der Westen sind jetzt gemeinsam gefordert" zu lesen ( in: Cicero v16.01.2015; http://www.cicero.de/weltbuehne/der-islam-und-der-westen-sind-jetzt-gemeinsam-gefordert/58739.) zu lesen. Die Autorin Khola Maryam Hübsch ist die Tochter des Schriftstellers Hadayatullah (Paul-Gerhard) Hübsch (*1946 in Chemnitz, gest. 2011 in Frankfurt), eines Aktivisten der Frankfurter 68er-Bewegung , der zu einer (von zwei)  Ahmadiya-Sekten (Ahmadiyya Muslim Jamaat)  des schiitischen Islam konvertierte und als deren Pressesprecher in der Bundesrepublik fungierte.

Khola Maryam Hübsch, angetan mit keusch den Hals umschließendem Kopftuch, fordert zu einer innerislamischen Auseinandersetzung über die Frage der Gewalt auf. Exegeten von Sunna und Hadith hätten den Wesenskern der Botschaft verfälscht, der Prophet habe Blasphemie mit Nachsicht behandelt, nur  in Ausnahmefällen seien  Blasphemiker, die "zeitgleich auch Apostaten [waren], den damaligen Gesetzen entsprechend"  bestraft worden. Gewaltsamkeit sei dem Islam wesensfremd: "Ein innerislamischer Disput, der dezidiert theologisch geführt wird und dem Islamismus fundiert den theologischen Nährboden entzieht, indem er aus den Quellen des Islam heraus argumentiert, ist von zentraler Bedeutung. Das zeigt bereits die Gewaltfrage: Auch dort muss sich das Verständnis durchsetzen, dass die Gewaltpassagen des Korans einen historischen Kriegskontext thematisieren und Gewaltanwendungen nur zur Verteidigung erlaubt werden."

IV.
Die gegen Ende des  19. Jahrhunderts in Britisch-Indien geborene Ahmadiyyah-Richtung - der Name verweist auf die millenarische Figur des Mahdi - gilt  innerhalb des weitgefächerten islamischen Spektrums als friedfertig und liberal. Im obigen Zitat klingt immerhin eine Rechtfertigung des bellum iustum an. Nicht zu übersehen ist, dass die Autorin in ihrem Artikel - entgegen ihrer Forderung nach einer kritischen Deutung der betreffenden Texte - keineswegs eine  historisch-kritische Betrachtung  und eine damit einhergehende Relativierung  des Koran im Sinne hat. Die Offenbarung  ihres Propheten ist nicht historisch hintergehbar. Eine Brücke zu "westlicher", von Bibelkritik und Aufklärung geprägter Theologie zu schlagen, scheint folglich selbst im Rahmen einer jüngeren,  sich als liberal verstehenden islamischen Tradition kaum möglich.

Im anderen Teil ihres Artikels blättert die Autorin die politische Sündenliste des Westens seit Anbruch der kolonialen Expansion sowie dessen heutigen Umgang mit dem Orient auf: "Der politische Islamismus  ist ein modernes Phänomen: Er ist entstanden als Reaktion auf Fremdherrschaft und Kolonialisierung. Er wurde von Demütigungserfahrungen begleitet, die bis heute anhalten und zu denen sich Perspektivlosigkeit und Frustration gesellen. Wenn völkerrechtswidrig interveniert wird, wenn Gebiete besetzt und Militärschläge gerechtfertigt werden, wenn blutige Diktaturen unterstützt werden und demokratische, säkulare Regierungen gestürzt werden, wenn Waffen an Drittstaaten geliefert werden und enge Bündnisse mit Ländern bestehen, die Dschihadisten finanzieren, darf der Westen die Augen vor seiner Mitschuld nicht verschließen. Der Westen war daran beteiligt, den sozialen und politischen Nährboden für einen Terrorismus zu legen, dessen geistiger Humus die islamistische Ideologie ist."

V.
Derlei Anklage könnte - mit leicht unterschiedlichen Akzenten - auch aus dem Mund einer "Linken" wie Katja Kipping, einer "Grünen" wie Claudia Roth, der CDU-Integrationsexpertin Maria Böhmer, von Irmgard Schwaetzer (Präses der Synode der EKD) oder der SPD-Generalsekretärin Fahimi stammen. Sie wären  mutmaßlich allesamt geneigt, die Rede von "demokratischen, säkularen Regierungen [die von westlichen Mächten] gestürzt werden", für bare Münze zu nehmen. Dass "der Westen" mit seiner ehedem von europäischer Überlegenheit, heute von Widersprüchen, Unverständnis und unbedachtem, die jeweiligen Gewaltverhältnisse nur  potenzierendem Interventionismus  für das nahöstliche Chaos mitverantwortlich ist, mag dabei außer Frage stehen. All das  ändert nichts an der beneidenswerten Naivität der zitierten Aussagen - der "richtige" Islam tue sowas nicht. 

Lesenswert an dem Cicero-Beitrag sind die Leserzuschriften. Eine Leserin,  mutmaßlich türkischer Herkunft, schreibt:
"Frau Hübsch, einen innerislamischen Dialog zu fordern, ist sehr sinnvoll. Doch leider steht Ihr Text hier überhaupt nicht im Einklang mit Ihrem Auftritt bei [der Talkshow] "Hart aber fair". Dort sagten sie so unsägliche Dinge wie: "Frankreich hat teilweise selber schuld an den terroristischen Akten, weil sich viele Muslime durch das Burka-Verbot nicht verstanden fühlten."
Sie schreiben, viele radikale Fehlinterpretationen stammten nicht aus dem Koran, sondern aus der Sunna und den Hadithen. Davon müsste sich der Islam befreien. Doch selber tragen Sie eine Art der Verschleierung, die sich ebenfalls nicht aus dem Koran ableiten lässt.
In der genannten Sendung war ebenfalls nichts von einer Forderung nach innerislamischen Dialog zu hören. Im Gegenteil, Sie forderten, die deutsche Gesellschaft solle ihre Werte überdenken, angesichts sexueller Freizügigkeit. Das Kopftuch versuchten sie tatsächlich in bester islamistischer Tradition als sexuellen Befreiungsakt der Frau darzustellen.
Frau Hübsch, Ihre Worte und Taten widersprechen sich und sind damit unglaubwürdig. Als Frau mit ursprünglich muslimischen [sic!] Hintergrund sage ich Ihnen, dass ich solche Diskussionen nicht brauche und ihrer müde bin. Ich bin angekommen in Deutschland und im 21.Jhd. und kann Ihnen nur raten, das Gleiche zu tun."



Freitag, 16. Januar 2015

Charlie hebdo und der verfemte Prophet Ernst Nolte

I.
Bundeskanzlerin Merkel ist für überraschende Positionswechsel bekannt. Zur  überschaubaren Sympathie- und Trauerveranstaltung vor der französischen Botschaft auf dem Pariser Platz  (Polizei: max. 5000 Teilnehmer, offiziell 10 000) für die Opfer des Massakers an der Charlie Hebdo-Redaktion hatte sie den  Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff  auf die Bühne geholt und sich dessen einst provokatives und/oder naives Diktum "Der Islam gehört zu Deutschland" zu eigen gemacht. Das sei auch ihre Meinung.  Gestern trat sie mit einer Erläuterung  vor den Bundestag, indem sie dem Satz das Temporaladverb "inzwischen" einfügte. 

Dass sie sodann,  sekundiert von Bundestagspräsident Lammert, die muslimische Geistlichkeit - eine solche ist mangels Institutionalisierung und vielfältiger Divergenzen/Spaltungen/Verfeindungen innerhalb des Islam  als politischer Ansprechpartner leider schwer vorzufinden - aufforderte, ihre Koran-Auslegung an eine eindeutige Absage der Gewalt zu binden - derlei neue Rede  könnte man  als Abkehr vom bislang vorherrschenden verständnisvollen Umgang mit  der betreffenden Religion verstehen. Ähnliches hatte vor Jahren schon der damalige Bischof und  EKD-Vorsitzende  Wolfgang Huber angemahnt, ohne dass dies in der der Öffentlichkeit, in den Islam-Verbänden, oder selbst in seiner evangelischen Kirche Eindruck gemacht hätte. An ein heikles Thema wagt sich die etablierte Zivilcourage ungern heran. 

Prognose: Im Hinblick auf die von "Pegida"  ausgehende Bedrohung unserer wehrhaften Demokratie wird man das Thema weiterhin meiden. Sobald sich die Aufregung über Charlie Hebdo wieder gelegt hat, wird man zum analytisch bequemeren Umgang mit dem in seinem historischen Ursprung angelegten Problem und zum Verzicht auf die Klärung des Verhältnisses von aufklärungsresistenter  Religion und westeuropäischer Zivilreligion zurückkehren.

II. 
Ernst Nolte gehört zu den wenigen Denkern, die sich mit der tieferen Problematik des Phänomens "Islamismus"  auseinandergesetzt haben. Bereits anno 2009 erschien sein Buch Die dritte radikale Herausforderung: der Islamismus.

Vor diesem Hintergrund  verweise ich auf einen Artikel, den ich vor zwei Jahren anlässlich des 90. Geburtstages von Ernst Nolte verfasst habe:

Ernst Nolte und die Globalisierung
Einheit oder Vielfalt

Herbert Ammon

Am 11. Januar (2013) beging Ernst Nolte seinen 90. Geburtstag. Der andernorts hochgeehrte, in Deutschland jedoch verfemte Geschichtsdenker wurde in der Jungen Freiheit  gewürdigt, ebenso in der FAZ. Auch dort wird der akademisch-medial genährte Argwohn gegen Nolte klar abgewiesen. Anders als der Frankfurter Sozialphilosoph Jürgen Habermas, der anno 1986 den absurden „Historikerstreit“ eröffnete, war Nolte in Jugendjahren gegen die Suggestionen des Nazismus gefeit. Wenn es ihm in oft eigenwilligen Zuspitzungen darum ging, „Auschwitz verstehbar“ zu machen, so gehörte Nolte trotz seines Festhaltens am „Prius“ des Klassenmordes der Bolschewiki und dem „kausalen Nexus“ nie zu den Verharmlosern, geschweige denn Leugnern des NS-Rassenmordes. Im Gegenteil: In spezifischer Denkweise verficht Nolte die These von der „Einzigartigkeit“ der NS-Verbrechen.

Hier ist nicht der Ort, die unendliche Debatte fortzusetzen. Angemerkt sei, daß die parallel zur Aufhebung des Nationalstaats sowie zur „multikulturellen“ Transformation betriebene Fixierung auf die historische Schande der Deutschen als Volk dem vermeintlich auf Freiheit und Gleichheit aller Individuen gerichteten linksliberalen Universalismus entgegensteht.

Übersehen wird von Noltes Feinden zudem, daß auch ihm im Ausblick auf das 21. Jahrhundert eine in partikularer Vielfalt geeinte Menschheit vor Augen steht. Das „linke“ Prinzip des Universalismus und dessen „rechte“ Negation, der Partikularismus, kämen am Ende zu einer friedlichen Synthese. Das Vehikel dieser Bewegung sieht Nolte in der Globalisierung.

Nicht im Einklang mit derlei Friedensvisionen bestehen anno 2013 die weltpolitischen Fakten. Partikularismen, Machtansprüche, Antagonismen  fort. Siehe Nahost: Wer will, wer vermag das Konfliktknäuel aufzulösen? Amerika, die EU, Israel, die Türkei? Daß die USA Universalismus mit Eigeninteresse verknüpfen, ist historisch nichts Neues. Ob die EU durch „noch mehr Einheit“ (Schäuble, Habermas etc.) Ungleichgewichte und Interessendivergenzen ausgleichen kann, ist die eine Frage; wie sie sich als Machtgebilde im globalen Spiel behaupten würde, die andere. Über die Projektionen der kapitalistisch erstarkten Han-Chinesen dürfen wir spekulieren. Und Rußland wird sich auch fürderhin westlichen Zumutungen nicht einfach fügen

in: Junge Freiheit 04/13 (18.Jan 2013) http://jungefreiheit.de/service/archiv/?www.jf-archiv.de/archiv13/2013040118jf.htm






Dienstag, 13. Januar 2015

Thilo, Mutti und Charlie

I.
Ich muss das Publikum bezüglich eines Kommentars zu dem Massaker an der Charlie-Hebdo-Redaktion sowie zum grenzenlos republikanische Eintracht und Empörung repräsentierenden Aufzug zum Place de la République auf einen späteren Blog-Eintrag vertrösten. Nur soviel: Nicht nur in der Theaterwelt kommt es auf die Unterscheidung von Schein und Sein an. Hinter der Inszenierung - mit Merkel, Hollande, Tusk untergehakt in der ersten Reihe, dazu Cameron, sowie choreographisch  separiert  Netanjahu und Abbas, irgendwo dahinter dann Sarkozy, Poroschenko sowie Lawrow - galt es für den Zuschauer die Realität zu entdecken. Wieviel realer Eros in der Szene steckte, als sich Angela Merkel mädchenhaft liebevoll an Francois Hollande anschmiegte, wäre ein Thema für Charlie Hebdo. 

Eines Kommentars bedürfte auch die Aufregung um "Pegida"  und die - zahlenmäßig addiert -  überlegenen Gegenaufzüge. Ich verzichte darauf, verweise indes auf Bannkreis 49 "Aufklärer machen die Lichter aus", http://www.globkult.de/in Globkult.de.

II.
Als Ersatz für Blog-Kommentare darf ich auf digitale links verweisen, aufgespürt bei Yahoo!. Dem Publikum dürfte bekannt sein, dass ich das über  meinen e-mail-Zugang gratis bezogene Yahoo-online-Nachrichtenmagazin gewissermaßen zwangsläufig - bei jedem exit aus meinem account - konsumiere. Für den ästhetisch-intellektuellen Zuschnitt der Yahoo!-Site - ein zum geistigen Dauerzustand  erhobenes  pubertäres Kichern samt politisch-moralischer Erregung - kann ich mich -  womöglich altersgemäß bedingt - nur in Maßen begeistern.

Dessen ungeachtet empfehle ich zwei von Yahoo! Deutschland kompilierte Informationen:

1) In einem Artikel aus dem Handelsblatt wird eine Stellungnahme  des dem bundesrepublikanischen volksversammlungsfreien Ostrakismos verfallenen, einst von Merkel abgefertigten und aus dem Vorstand der Bundesbank zurück/hinausgetretenen Thilo Sarrazin referiert. Thilo unterzieht Merkels jüngstes Politbekenntnis einer aufklärerischen Textkritik:

Der ehemalige Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin hat die islamfreundliche Aussage von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), dass der Islam zu Deutschland gehöre, scharf kritisiert. 'Nimmt man sie als Tatsachenbeschreibung, dann ist sie banal', sagte Sarrazin dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). 'Denn natürlich sind vier Millionen in Deutschland lebende Menschen islamischen Glaubens ein Teil dieses Landes, nicht mehr und nicht weniger als ein bayerischer Trachtenverein, der braune Sumpf der NSU oder rote Socken in der Brandenburger Provinz.' Das alles und noch viel mehr gehöre zu Deutschland, darunter auch die in Deutschland aufgewachsenen radikalen Salafisten, die für die Terrormiliz IS in Syrien und Irak kämpfen.
'Nimmt man dagegen die Aussage als Behauptung, der Islam sei ein historisch gewachsener Bestandteil der deutschen Kultur, Tradition und Lebensart, dann ist die Antwort nein', sagte Sarrazin weiter. Als 'geoffenbarte Religion' habe der Islam zudem wie alle Religionen 'keine objektiv fassbare Gestalt, sondern ist das, was Muslime glauben', fügte er hinzu. Jede Interpretation sei genauso gültig wie die andere.
'Das Problem des Islams ist es ja gerade, dass so viele demokratiefeindliche, gewalttätige Interpretationen dieser Religion in Umlauf sind und das Weltgeschehen bestimmen', betonte Sarrazin. Diesem Thema weiche die Bundeskanzlerin aber aus. Dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu, so Sarrazin weiter, 'würde übrigens niemals der Satz von den Lippen gehen, das Christentum sei ein Teil der Türkei'. Dort habe man ja den Anteil der Christen seit 1918 'mit Erfolg von 25 Prozent auf jetzt unter ein Prozent vermindert und ist darauf auch stolz'. [...]
https://de.finance.yahoo.com/nachrichten/sarrazin-kritisiert-merkels-islam-bekenntnis-115301334.html


 2) In der von dpa übernommenen Nachricht ist folgendes zu erfahren:

Ägyptische Islamgelehrte haben die erste Ausgabe des französischen Magazins «Charlie Hebdo» nach dem Terroranschlag von vor einer Woche scharf kritisiert.
Die wichtige religiöse Einrichtung Dar al-Ifta («Haus der Rechtsprechung») in Kairo wertete die Veröffentlichung neuer Karikaturen des Propheten Mohammed als «rassistischen Akt».
Diese «ungerechtfertigte Provokation von 1,5 Milliarden Muslimen weltweit» werde eine neue Welle des Hasses in der französischen und in westlichen Gesellschaften auslösen. Das sei nicht förderlich für das Zusammenleben und den Dialog, um den Muslime sich bemühten.
Die neue «Charlie Hebdo» kommt in Frankreich an diesem Mittwoch heraus. Das vorab veröffentlichte Titelbild des Magazins zeigt eine Zeichnung des Propheten, der trauernd ein Schild mit der Aufschrift «Je suis Charlie» (deutsch: Ich bin Charlie) in den Händen hält. Über der Zeichnung steht in großen Buchstaben «Tout est pardonné» (deutsch: Alles ist vergeben).
 https://de.nachrichten.yahoo.com/%C3%A4gyptens-islamgelehrte-verurteilen-neue-charlie-hebdo-ausgabe-140733932.html


Samstag, 3. Januar 2015

Danzig, Donezk, Dresden. Dazu das Positive zum Neuen Jahr 2015

I.
"Navigare necessum est - vivere non necesse". Dieser Sinnspruch, dessen grammatikalische Inkongruenz als erstes ins Auge fällt,  ziert ein Gebäude unweit des Goldenen Tors zu Danzig, wo der Blogger  ein paar Tage zur Jahreswende verbrachte, um sein Geschichts- und Gegenwartsbild  ästhetisch  zu vertiefen und zu aktualisieren  Daher das Positive fürs Neue Jahr vorweg: Das im kurzen 20. Jahrhundert von nationalistischen Emotionen, von Verfeindung, von  Krieg. Mord und Terror, sodann von Heimatverlust geprägte Verhältnis zwischen den beiden Nationen in der Mitte Europas hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in einen Zustand verwandelt, der an die langen Jahrhunderte fruchtbar-friedlichen Nebeneinanders und wechselseitiger Durchdringung des alten Römisch-Deutschen Reiches und des Königreichs Polen erinnern mag.

 Mit  Stolz  erinnert man  heute in Gdánsk nicht nur an den Streik auf der (seit Jahren stillgelegten) Leninwerft 1981, der aus polnischer Sicht das Ende des Sowjetimperiums und der Teilung Europas einläutete, sondern an die Monumente gemeinsamer deutsch-polnischer Geschichte im Ostseeraum. Symbolisch steht dafür das Stadtwappen: zwei Kreuze des Deutschen Ordens unter der Krone des polnischen Königs. Gleich zweifach - in polnischer und deutscher Sprache - verweisen Wappen und Inschriften auf die zwei Episoden der Freien Stadt Danzig - die erste unter Napoleon 1807-1814, die zweite unter dem Völkerbund 1920-1939.

II.
Mal sehen, wie man hierzulande die Gedenktage zum 70. Jahrestag des Kriegsendes (8. und/oder 9. Mai 1945)  und zur Potsdamer Konferenz (17.Juli - 2. August 1945), sodann zur staatlichen Wiedervereinigung des 1947/1949 geteilten Restdeutschland mit EU-europäisch eingefärbten Gedenk- und artikeln historisch aufbereitet. Es besteht Grund, für derlei Zwecke an  historischem Grundwissen nicht allzuviel vorauszusetzen: In dem zu Reisezwecken entliehenen Bädeker "Polnische Ostseeküste. Danzig. Masuren" erläutert der Autor die polnische "Westverschiebung" historisch wie folgt: "Schon auf den Konferenzen von Jalta 1943 und Teheran 1944 beschlossen die Alliierten eine europäische Nachkriegsordnung (Hervorh. im Orig.). Sie sah die Westverschiebung Polens bis an die Oder und Lausitzer Neiße vor; die Gebiete östlich von Bug und San sollten an die Sowjetunion fallen." (S.41)


III.
Die im obigen Zitat erkennbare indocta ignorantia steht kennzeichnend für die deutsche (oder bundesrepublikanische) Gesellschaft  anno 2015. Wo elementare historische Fakten nicht mehr in Erinnerung sind, durcheinandergeworfen oder - nach Art der derzeit populären historischen Fernsehfilme - beliebig arrangiert werden können, ist es mit der historischen Identität einer "Nation" nicht mehr weit her. Mehr noch, das aus  Geschichte und Kultur abgeleitete politische Selbstbewußtsein einer "Nation" evaporiert. Mit derlei historischem Unwissen und Desinteresse verschwindet indes auch die zu Staatszwecken mobilisierte historisch-emotionale Bindung der Bürger an ihr Gemeinwesen.

In concreto: Welche Relevanz hat die institutionalisierte Erinnerung an die NS-Verbrechen in einer - von ahistorischer Konsumkultur geprägten, "globalistisch" auf "events" ausgerichteten Gesellschaft? Was bedeutet es für eine societas politica und/oder die "Nation",  in der sich  zum einen die Deutschen - im selbstverächtlichen taz-Grünen-Jargon die "Biodeutschen", in soziologischer Diktion die  "Mehrheitsgesellschaft" - ihre Geschichte nahezu ausschließlich als negative, mehr oder weniger lästige Erinnerung empfinden, zum anderen die sich durch unverminderte, ungesteuerte Einwanderung ("Migration" anstelle semantisch richtig "Immigration") rapide verändernde Gesellschaft als "Gesellschaft" für das im wesentlichen auf die NS-Ära bezogene deutsche Geschichtsbild nicht im geringsten empfänglich zeigt - warum sollte sie auch?

Der - parallel zur Erinnerung an den Holocaust - beschworene Bezug auf die Transzendenz der unteilbaren -  indes nachweislich interpretierbaren - Menschenrechte erweist sich im Falle globaler, regionaler und nationaler Verteilungs- und Machtkämpfe keineswegs als Kohäsion vermittelndes, den politisch-sozialen Minimalkonsens garantierendes Medium, sondern als analytisch und politisch real unzureichendes Abstraktum.  Dieses factum brutum ist nicht allein dem Werk des Denkers Panajotis Kondylis (1943-1998) zu entnehmen. Wie schnell die von Machtrealitäten bestimmte  Historie - anstelle der universal realpolitisch nicht durchsetzbaren, aber uns europäisch einenden westlichen "Werte"  - in der Komplexität des Politischen zur Geltung kommen kann, werden wir in den absehbaren neuen Auseinandersetzungen um die Rolle Griechenlands in der EU sowie im Euroraum erleben.  

Des weiteren: 1) Wenn es in den nächsten Wochen doch  zu einer "Lösung" in der blutigen Ukrainekrise kommen sollte, so wäre dies als Erfolg der westlichen Sanktionen sowie als Folge des sinkenden Ölpreises zu werten.  Der "Erfolg" wäre indes mutmaßlich kaum mehr als ein mühselig ausgehandelter politischer Kompromiß, keineswegs die Durchsetzung der Menschenrechte auf der Krim, im Donbas, in Moskau, auch nicht in Kiew. Die  dereinst vom Taurischen Fürsten Potemkin für seine Zarin eroberte Krim wird Putin kaum wieder herausrücken. Unbeschadet davon dürfte er mangels Alternativen im Verhältnis zu Europa sein Eurasien-Konzept weiter verfolgen.  2) Wenn es irgendwann noch zu einem Ende der vom hochgejubelten "arabischen Frühling" ausgelösten, realiter  historisch, machtpolitisch und kulturell-religiös bedingten - absehbaren (vgl. H.A., Blog-Eintrag vom 8. August 2013) Massaker im nahöstlichen Krisenbogen kommen sollte, so resultierte ein solch "positives"  Ergebnis aus schieren Machtmöglichkeiten, nicht aus humaner Einsicht. 3) Die von Krieg, Mord, Überlebensangst, Hunger, Not,  (falscher?) Hoffnung  und Verbrechen ("Schleuserbanden") verursachten Flüchtlingsströme nach Europa, insbesondere nach Deutschland, erfordern verantwortliches, mutiges und humanes politisches Handeln, nicht Lamentieren und moralische Entrüstung über "Pegida". Adnote: Das Flüchtlingselend in Syrien hat andere Ursachen als das in Somalia, die Flucht aus Eritrea hat wiederum andere als die "militant migration" aus anderen Regionen Afrikas. Was tun?

IV.
In den Medien erfährt der von Angela Merkel vermittels einer in der "Affäre Edathy" inszenierten, an großes  Drama - oder billiges Schmierentheater, je nachdem  - erinnernden Ranküne des - damals noch prospektiven - SPD-Koalititonspartners zum Landwirtschaftsminister degradierte CSU-Politiker Hans-Peter Friedrich keinerlei Unterstützung. Warum auch?  Friedrich kritisiert - von herausfordern kann keine Rede sein  - die Kanzlerin ob ihres kühl exerzierten Verzichts auf die ehedem von der "christlichen Volkspartei" CDU (y compris CSU) hochgehaltenen traditionellen "bürgerlichen" Werte: Familie, Volk und Nation. Völlig obsolet.

In ihrer Neujahrsansprache (zitiert in der gestrigen FAZ) ) an die "lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger" - selbst in der Anrede ignorieren die Frauen hierzulande die vom Gleichheitsprinzip (und der Logik) her gebotene Reziprozität - empfahl  Merkel als positives Beispiel gelungener Flucht und Integration einen Kurden, der vor Jahren aus dem Irak geflohen war und Deutschland dankbar sei dafür, dass "seine Kinder hier ohne Furcht aufwachsen können". Dies sei auch das Motiv derer gewesen, die  vor 25 Jahren in der DDR auf die Straße gegangen seien (inklusive Merkel?, H.A). Hingegen diagnostizierte sie bei den Organisatoren der Dresdner "Pegida"-Veranstaltungen  "Vorurteile, Kälte, ja sogar Hass in deren Herzen".

Das ist nicht auszuschließen, auch wenn es aus den Verlautbarungen der biographisch "bunten" Protestriege bis dato nicht unzweideutig hervorgeht. Der eine oder andere Kommentator hat bemerkt, dass einige der "Pegida-Forderungen" eigentlich zum Regierungsprogramm gehören.

V.
Mit moralischen Appellen allein sind  weder die durch globales Unheil erzeugten Fluchtbewegungen ("Migration")  zu lösen, noch ist  mit moralischer Entrüstung der in weiten Kreisen der "Mehrhheitsbevölkerung" erkennbaren Besorgnis hinsichtlich der rapiden Auflösung ihrer Lebenswelt zu begegnen.

"Die uns vertraute Welt ist aus den Fugen geraten", schreibt Gerd Appenzeller" im gestrigen Tagesspiegel. Er fährt mit ein paar kritischen Worten fort: "Die Politiker, die wir gewählt haben, können aber im Gegensatz zu den sektiererischen Randgruppen diese Wirklichkeit nicht ausblenden. Dennoch müssen sie damit aufhören, das jeweilige Regierungshandeln als alternativlos hinzustellen. Wer nicht ertrinken will, muss schwimmen - das ist alternativlos. [...] Man kann Kriegsflüchtlingen [Frage H.A.: in bliebiger Zahl?]  eine Arbeitserlaubnis geben - oder abgelehnte Asylbewerber schneller in die Heimat zurückschicken. Man kann eine Energiepolitik unter Beibehaltung von Atomkraftwerken vertreten - oder noch mehr auf die Kohle setzen." Der Leser  (Blogger)  rubriziert derlei  Kritik  an der als  "alternativlos" ausgebenen, mit hoher Moral  und hochmütiger Distanz  zum "Volk"- betriebenen  Konzeptionslosigkeit unserer Regierenden  unter den positiven Phänomenen unseres  Politalltags im Jahre 2015. Der beschwörende Nachsatz mit dem abgegriffenen Verbum ("Politik kann, muss immer noch gestalten") erinnert schon wieder an die von Merkel et. al. repräsentierte Wirklichkeit.