Montag, 31. März 2014

update zum human rights tattoo

Da mein Beitrag zur Politischen Bildung (mit und nach Yahoo!) über die weltweite menschenrechtliche Signifikanz von Tattoos  in GlobKult (http://www.globkult.de/politik/welt/922-politische-bildung-viii-tattoos-fuer-die-menschenrechte)
auf der Frontseite des Magazins bereits wieder in die zweite Reihe gerutscht ist, möchte ich das Publikum mit einigen weiteren Details, Ergänzungen und Aktualisierungen auf dem laufenden halten:

a) Während Finanzminister Schäuble vor Berliner Schülern - man wüsste gern, vor welchen - die Krimkrise erklärt, indem er wie schon BHL sowie Hillary Clinton den russischen Staatschef - und Freund von Alt-Bundeskanzler Gerhard  Schröder - Putin in eine Reihe  mit Hitler stellt, nimmt hierzulande die Zahl der von den Medien als "Putin- bzw. Russland-Versteher" Gerügten zu: Außer den erwähnten Helmut Schmidt, Alice Schwarzer u.a  meldete sich schon  zu Beginn der allgemeinen medialen Aufregung  auch Helmut Kohl zu Wort, der mehr Sensibilität im Umgang mit russischen Interessen anmahnte. Zu den auf Zurückhaltung  dringenden Stimmen gehören zudem Henry Kissinger sowie Horst Teltschik, die rechte Hand Helmut Kohls in der Phase der Wiedervereinigung 1989/90.

Ginge es hingegen nach Ex-Außenminister Joschka Fischer und manch anderen Grünen, würde die Nato bereits kampfbereit an Polens Ostgrenze an Bug und San aufmarschieren, um in der Ukraine die Demokratie zu schützen und  um die Moskowiter demokratisch Mores zu lehren.

b) Einen Tag nach meinem der "Berliner Zeitung" entnommenen Bericht über das Tattoo-Stechen für die Menschenrechte wartete auch Welt-online mit einem Beitrag über die jüngste human rights campaign auf. Nach meiner Erinnerung hatten sich an besagten Mittwochspätnachmittag leider nur 28 (oder warn´s 38) Tätowierungsaktivisten in Toni Lous Studio eingefunden. Womöglich versprechen die ohne zusätzliche Ornamentik auf dünner nackter Haut (ohne Fettpolster) aufgetragenen Einzelbuchstaben  nur  geringen erotischen Reiz.

Nachzutragen bleibt, dass die Tattoo-Kampagne von Amnesty International unterstützt wird.

Dienstag, 25. März 2014

Scholl-Latour: Welterfahrung eines 90jährigen

Peter Scholl-Latour feierte unlängst seinen 90. Geburtstag. Er repräsentiert einen Typus von Journalisten, der exzellente Bildung, Beobachtungsgabe und in der Biographie begründetes Selbstbewusstsein in seiner   Person vereint. Konsequent hat er sich den vorherrschenden Konformismen entgegengestellt, nicht zuletzt durch  Beiträge in der lange ostrakisierten Wochenzeitung "Junge Freiheit". In allen Krisen und Kriegen der Welt unterwegs, zeichnen sich Scholl-Latours Reportagen und Bücher durch profundes Wissen und souveräne Urteilskraft aus.

Für jenen Teil meiner  community, der nicht zum Leserstamm des Berliner Blattes "Der Tagesspiegel" gehört, stelle ich  folgende  Auszüge aus dem unterhaltsamen Geburtstagsinterview (Orig. in: Der Tagesspiegel vom Sonntag, 23. März 2014) ins Netz:



Interview mit Peter Scholl-Latour
„Ich verstehe mich gut mit Ganoven“

Herr Scholl-Latour, eigentlich mögen Sie keine Geburtstage. Nun sind Sie 90 geworden …
… und das habe ich gefeiert. Mein Verlag hat alles organisiert. Ich habe persönliche Bekannte eingeladen, und Helmut Schmidt hat sich bereit erklärt, ein Grußwort zu sprechen. Extrem liebenswürdig. Das ist man nicht so gewohnt bei ihm. Auch Angela Merkel hat mir einen sehr freundlichen Brief geschrieben. Dass sie meine Analysen schätzt.
[...]
Sind Sie nach wie vor unterwegs?

Neulich war ich an der türkisch-syrischen Grenze. In Kürze werde ich nach N’Djamena aufbrechen, der Hauptstadt des Tschad. Ich bin lange nicht mehr dort gewesen, es hat sich alles total verändert. Das letzte Mal war es noch recht primitiv und chaotisch, jetzt gibt es ein Kempinski Fünf-Sterne-Hotel. Ich habe mit dem deutschen Botschafter telefoniert, der einen sehr netten Eindruck macht. Zu weit herumfahren werde ich nicht. Das alte deutsche Kamerun liegt gleich nebenan, da ist gerade jemand entführt worden.

Andere Leute in Ihrem Alter gehen auf Kreuzfahrt

Habe ich auch mal gemacht. Ich hatte die Fahrt auf dem Bundespresseball gewonnen. Sie führte in die Ägäis, die kannte ich da noch nicht. Diese Veranstaltungen an Bord wie Captain´s Dinner waren der nackte Horror. Ich habe mit meiner damaligen Lebensgefährtin immer nur mit der Mannschaft zusammengesessen. Wir veranstalteten unsere Gelage in dem Raum, wo die Särge standen. Die Gäste auf Kreuzfahrten sind ja meist etwas älter, darauf hatten die sich vorsorglich eingestellt.
[...]
Im Moment schaut alle Welt auf die Krim. Wie verfolgen Sie das Geschehen dort, was sind Ihre Informationsquellen?

Ich bin selber eine Quelle. 70 Jahre bin ich aktiv, das war ein permanentes Studium. 
Abgesehen davon, dass ich einen Abschluss in Sciences Politiques in Paris habe. Als die Sudankrise hochkam, war von Stämmen im Süden die Rede, die sich bekriegen. Da wusste ich noch aus der Studienzeit, dass das die Dinka, die Schilluk und die Nuer sind. Auch die Ukraine kenne ich. Und was jetzt alles geschrieben wird, da stehen mir die Haare zu Berge.

Im Buch „Russland im Zangengriff“ von 2007 behaupten Sie, der Westen wolle Russland einkreisen. Der Investor George Soros und andere hätten die „Orange Revolution“ massiv finanziell unterstützt.

Ich weiß gar nicht, warum man Russland besiegen will. Es ist eine Groß-, aber keine Weltmacht mehr. Was soll der Quatsch? Wen will man denn an die Stelle von Putin setzen? Für die russischen Verhältnisse ist der sehr geeignet. Wir haben ja den Versuch der Demokratie dort erlebt unter Jelzin und dem in Deutschland so bewunderten Gorbatschow. Ich war damals in Moskau, so elend, arm und verkommen ist Russland nie gewesen.

Beim jetzigen Maidan-Aufstand sehen Sie wieder Europäer und Amerikaner als Hintermänner?

Da kann ich nur sagen: Fuck the EU! Jetzt reden sie nicht mehr nur von einer wirtschaftlichen Assoziierung der Ukraine, sondern von einem Beitritt. Rumänien und Bulgarien waren schon überflüssig, wir hätten an den Grenzen des alten Osmanischen Reiches Schluss machen sollen mit der Konstruktion Europas. Wenn die mal auf die Landkarte gucken würden! Ich war in der Ostukraine, bis zur russischen Grenze, da ist man noch 300 Kilometer von Stalingrad entfernt. Das sollte einem doch zu denken geben. Wenn Europa überleben will, muss es sich auf ein paar starke Staaten konzentrieren. Da die Engländer voll auf die Amerikaner ausgerichtet sind, gibt es drei Länder, die dafür infrage kommen: das sogenannte Weimarer Dreieck aus Deutschland, Frankreich, Polen.

Gerade die Polen unterstützen doch die Entwicklung in der Ukraine.

Sie haben 300 Jahre lang unter russischer Knute gestanden, da kann man ihnen das nicht übelnehmen. [Anmerkung H.A.: Hier irrt Scholl-Latour. Die erste polnische Teilung datiert erst von 1772. Im 17. Jahrhundert wurden umgekehrt die Russen von den Polen mehrfach malträtiert. Von der russischen "Knute" kann man erst vom Regierungsantritt des  Zaren Nikolai I. (1825-1855) an sprechen.] Was man von uns nicht behaupten kann. Im Gegenteil: Die Russen haben unter uns gelitten. Wäre ich Russe, hätte ich auch nicht gern die Amerikaner an meiner Südküste. Das ist eine strategische Position. Und da spielen die USA verrückt im Moment. Die führen den Kalten Krieg fort.

Es war Putin, der mit der Annexion der Krim das Völkerrecht gebrochen hat.

Die Amerikaner müssen vom Völkerrecht reden! Wer Leute mit Drohnen ermorden lässt! Die sind selber in genügend Länder einmarschiert. Und im Irak haben sie uns total angeschmiert. Putin hat hundertmal recht [H.A.: orthographische Entgleisung in:  "Der Tagesspiegel"] auf die Krim. Die Menschen dort sind prorussisch.

Vor Jahren haben Sie den nun aus dem Amt gejagten ukrainischen Präsidenten Janukowitsch getroffen. Wie hat er auf Sie gewirkt? 
Besteht die Gefahr eines Kriegs?

Ernsthaft Krieg führen können die Amerikaner ja doch nicht. Seit Vietnam haben sie alles verloren. Und die EU? Ich bin oft in Afghanistan gewesen und habe die Bundeswehr aus der Nähe erlebt. Unter uns gesagt: Für die jetzige Form der Kriegsführung, für den asymmetrischen Krieg und die Counterinsurgency, ist sie nicht geeignet. Die Bundeswehr ist stehen geblieben bei den großen Abwehrschlachten in der norddeutschen Tiefebene.

Eine amüsante Episode. Ich war in Donezk und wohnte in einem Luxushotel, das natürlich Achmetow gehörte, dem reichsten Mann der Ukraine. Der fand mich sympathisch und hat mich an seinen Tisch gebeten. Ich bin in Bochum geboren, die haben eine Städtepartnerschaft mit Donezk. Da sagt der Achmetow: Mensch, werden Sie doch Mitglied in meinem Fußballklub Schachtar! Er hat mir gleich einen Trainingsanzug verpasst, hielt den an einen seiner Leibwächter, der so groß war wie ich. Und neben ihm stand ein Riesenkerl, der nicht besonders intelligent wirkte. Sagt Achmetow: Ich stelle Ihnen Herrn Janukowitsch vor, den künftigen Präsidenten der Ukraine. So läuft das da. Im Westen ist es nicht anders: Die Timoschenko, die Gasprinzessin, ist auch eine Oligarchin.

Den Trainingsanzug haben Sie noch?

Meine Frau hat ihn weggeschmissen. So wertvoll war das orangene Ding nicht.

Herr Scholl-Latour …

… eines will ich noch sagen. Wir regen uns zu Recht über die NSA auf. Aber man musste schon sehr naiv sein, um nicht zu wissen, dass diese Überwachung stattfindet. Das größere Problem sind Fabriken der Desinformation, ob sie sich nun in North Carolina, London oder Israel befinden. Die zielen auf deutsche und europäische Medien. Und das klappt. Von der „taz“ bis zur „Welt“ – ein Unisono, was die Ukraine betrifft. Oder Syrien: Als man die Aufständischen als die Guten und die anderen als die Bösen dargestellt hat. Dabei waren weder die einen noch die anderen gut oder böse. Wir leben mit so vielen Lügen. Wenn es heißt, Indien sei die größte Demokratie der Welt. Ja, Scheiße! Das Kastensystem ist schlimmer, als das Apartheidsystem in Südafrika je gewesen ist. Indien ist das grauenhafteste Land der Welt.

Ist Edward Snowden für Sie Verräter oder Held?

Der Begriff Held ist mir fremd. Als Verräter würde ich ihn auch nicht bezeichnen. Er ist ein Amerikaner, die haben manchmal ein sensibles Gewissen. Wahrscheinlich hat er das aus wahrer Überzeugung getan. Und dass er nach Russland gegangen ist – ja, wo sollte er denn sonst hin? Wenn die Deutschen ihm Asyl gewährt hätten, hätten ihn die Amis hier umgebracht.

Warum sind Sie mit Russland nachsichtig und gehen mit den USA so hart ins Gericht?

Ich bin auch mit den Amerikanern nachsichtig.

Lassen Sie uns zurückblicken auf Ihre 70 Jahre als Reporter, Reisender und politischer Beobachter. Was war die heikelste Situation in Ihrem Leben?

Ich stand mal an der Erschießungsmauer, das war nicht ganz ungefährlich. Vielleicht hatten sie gar nicht vor, uns abzuknallen, aber es sah so aus.

Das war in einem Prager Gefängnis zur Nazi-Zeit. Sie hatten aus dem Land fliehen wollen.

Ich hatte zwei Mal erfolglos versucht, an der Westfront durchzukommen. Dann wollte ich mich Titos Partisanen anschließen. Dabei habe ich mich nicht geschickt genug angestellt.

Sie sind katholisch erzogen, Ihre Mutter stammt aus einer jüdischen Familie. Haben Sie sich mal auf die Suche nach Ihren jüdischen Wurzeln begeben?

Überhaupt nicht. Meine Großmutter habe ich ungeheuer geliebt, sie war die warmherzigste Frau, die ich kannte. Aber ich habe sie nie in Zusammenhang mit dem Judentum gebracht. Unter den Nazis hat sie sich das Leben genommen.

1945 wurden Sie Soldat bei den Franzosen. Warum wollten Sie wieder in den Krieg?

Der Kolonialkrieg in Indochina war doch ein Abenteuer. Was sollte ich denn in Deutschland hängen bleiben, in diesem zerstörten Land, wo die Leute hungerten und traumatisiert waren? Und mich womöglich auf meine Leiden unter den Nazis berufen, um eine privilegierte Position [im Tagesspiegel-online-Originaltext "priviligierte Position", womöglich gemäß  neuester toleranter Rechtschreibreform]  zu bekommen? Das hätte ich als unwürdig betrachtet.
[...]
Sie haben Indochina mal als ein großes erotisches Abenteuer beschrieben.

Es war eine der angenehmsten Facetten meines Lebens. Das vermisst man ein bisschen mit 90.

Sie waren Fallschirmjäger. Ein amerikanischer MG-Schütze, der sich während des Massakers in My Lai seinen Kameraden entgegenstellte, hat erzählt, dass er nach dem Vietnamkrieg zehn Jahre brauchte, um wieder für ein bürgerliches Leben zu taugen.

Das ist eben eine sehr sensible Natur gewesen. Solche Probleme hatte ich nie. Ich habe ja auch keine My Lais veranstaltet! Auf wehrlose Frauen und Kinder hätte ich nie geschossen.

Später, als Reporter, haben Sie viele Staatschefs getroffen. Darunter auch Diktatoren. Wer war der schlimmste?

Ich habe das Talent, mich mit den Ganoven ganz gut zu verstehen.

Keiner, wo Sie dachten: Widerwärtig!

Laurent-Desiré Kabila, den die Amerikaner auf dem Gewissen haben, war eine fiese Type. Charakterlos. Che Guevara wollte mit ihm einen Partisanenkrieg führen, aber Kabila hat sich dauernd nur besoffen und Puffs besucht. Persönlich habe ich ihn nicht als unangenehm empfunden, aber das ist jemand, den ich nicht besonders schätzte.

Und Papa Doc in Haiti, dessen Regime 30 000 Menschen zum Opfer gefallen sein sollen?

Der hatte mich irgendwie ins Herz geschlossen. Ich zeige Ihnen was. Hier, er hatte so ein kleines rotes Büchlein verfasst, primitiv halt, so wie Gaddafi sein grünes Buch herausgebracht hat. Er hat mir eine sehr lustige Widmung hineingeschrieben: „A mon éminent collègue, le professeur Pierre Scholl-Latour de la France immortelle“, und dann seine Unterschrift.
[...]

Beim „Stern“ sind Sie gescheitert, nicht mal ein Jahr sind Sie dort Chef gewesen. Was bereuen Sie?

Die „Stern“-Leute hatten eine ganz andere Mentalität als ich. Damals ging es um die Frage der Nachrüstung. Ich war dafür, 300 Mann waren dagegen. Und dann gab es viele in gestörtem Zustand. Niklas Frank, der Sohn des einstigen deutschen Generalgouverneurs von Polen, saß da zum Beispiel. Ich habe zum Vorstandsvorsitzenden Gerd Schulte-Hillen gesagt: Ich habe den Eindruck, ich bin hier nicht Chefredakteur, sondern Vorsitzender einer psychiatrischen Anstalt. [...]

Herr Scholl-Latour, Sie leben unglaublich aktiv. Haben Sie Angst, eines Tages gebrechlich zu sein?

Ich habe keine Angst, ich weiß, dass es passieren wird. Ich kann morgen einen Schlaganfall bekommen, oder man kann bei mir in einer Woche Demenz diagnostizieren.

Gunter Sachs hat sich beim ersten Anzeichen von Alzheimer erschossen.

Ich verstehe das. Ich möchte auch gern in Würde sterben. Aber wenn es nicht sein soll: Ich bin sehr katholisch erzogen, Selbstmord würde mir schwerfallen. Ich habe eine Patientenverfügung. Jahrelang an Schläuchen zu hängen, das ist auch nicht der Wille Gottes, das kann man mir nicht einreden.
[...]

Ihre politischen Prognosen wirken sehr düster.

Geben Sie mir einen Grund zu großer Heiterkeit, ich will gerne einstimmen.

Sehen Sie eine positive Entwicklung?

Was in China passiert ist, ist ein Wunder. Das ärmste Land der Welt ist zu einer wirtschaftlichen Macht herangewachsen. Den Leuten geht es besser und besser, entgegen den Behauptungen unserer Medien. Verglichen mit der Industrialisierung Großbritanniens, die grauenhaft war, ging die in China sehr human vonstatten.

Was war Ihr größter politischer Irrtum?

Ich habe gedacht, dass die Fußball-WM in Südafrika im Chaos enden würde. Und die verlief fabelhaft. Sonst erkenne ich keinen Irrtum an.

http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/interview-mit-peter-scholl-latour-ich-verstehe-mich-gut-mit-ganoven/9652136.html


Donnerstag, 20. März 2014

Berliner Willkommenskultur

Während Putins erfolgreicher Coup auf der Krim derzeit unser aller Interesse okkupiert,  geraten die Mühen des lokalpolitischen Alltags in der Hauptstadt etwas aus dem Blick. Hier erzeugt das Dauerthema BER sowie die Frage nach der mutmaßlich frühestmöglichen  Fertigstellung des hauptstädtischen Großprojekts angesichts der von Tag zu Tag wachsenden Mängelliste nur noch Langeweile. Und wen schert schon eine jüngst gegründete "Bürgerinitiative" zur Abwahl  des stets lebensfrohen Bürgermeisters Wowereit?

Da erreicht uns inmitten der selbstgenügsam administrierten multikulturellen Langeweile frohe Kunde:
Der Berliner Senat freut sich,  in größtkoalitionärem Einvernehmen mit der einer CDU-Familie entstammenden grünen Kreuzberg-Friedrichshainer Bürgermeisterin Monika Herrmann, eine gütliche Einigung mit den basisdemokratisch selbsternannten Sprechern  jener ca. 300 Personen, Flüchtlinge und/oder "Migranten" auf dem Oranienplatz erzielt zu haben.

Die auf  Bleiberecht in Deutschland (nicht etwa in Italien oder sonstwo in der EU) pochenden Migranten, aus allen möglichen Motiven und Ländern der Welt,  hauptsächlich aus Afrika über Lampedusa in die "Festung Europa", sodann aus diversen deutschen Städten in einer Art Migrationskarawane in die Hauptstadt gelangt, hatten vor  über einem Jahr auf dem Kreuzberger Oranienplatz  ein "Protestcamp" bezogen. Im Hinblick auf Hygiene sowie gewisse Umgangsformen hatten die Lebensumstände der nach Kreuzberg  Immigrierten zu allerlei Friktionen mit der angestammten Wohnbevölkerung, vornehmlich anatolischer Herkunft, geführt. Das von  einerseits radikal antikapitalistischem Geist ("Fight capitalism!") beseelten ,  andererseits radikal globalistisch orientierten Unterstützern ("Kein Mensch ist illegal!") betreute Camp soll nun freiwillig geräumt, den dauercampenden Asylbewerbern Wohnraum verschafft sowie ungeachtet ihres bisherigen Status ein neues Verfahren gewährleistet werden. Die allenthalben begrüßte Problemlösung hat noch einen Haken, denn, so liest man,  eine  Minderheit von ca. 80 Personen weigert sich dank Unterstützung der Unterstützer, die Vereinbarung zu akzeptieren.

An der somit noch andauernden Episode treten sämtliche mit der globalen Migrationsproblematik verknüpften Fragen hervor, für die es weder eine widerspruchsfreie  Ursachenanalyse noch einfache Antworten gibt. Wer einfache Lösungen bevorzugt, mag sie in der jüngsten Rede unseres Bundespräsidenten Gauck vor einem Migranten-Publikum in Berlin-Wedding finden. Der ehedem für westdeutsche Ohren erstaunlich deutschnational klingende  Gauck pflegt nunmehr die erwünschte Rhetorik von der kulturellen Bereicherung "unserer Gesellschaft" durch Immigration. Er wünscht sich darum von der Stammbevölkerung mehr "Weltoffenheit"sowie die Förderung einer "Willkommenskultur".

Nicht zufällig kommt der Begriff  "Integration" in derlei Reden kaum noch vor, ebensowenig wie die Frage nach der Vereinbarkeit der gesellschaftlich bereichernden Multikultur mit der national verengten "Gedenkkultur"  (= Synonym für postdeutsche "Leitkultur"). Dies mündet in folgende Überlegung:  Was die Zukunft der historischen Gesellschaften Europas betrifft, vulgo der Völker, so scheint es ratsam, daran lieber nicht zu denken, erst recht nicht, das Gedachte öffentlich zu bedenken zu geben. Das Risiko, über Nacht in die  öffentliche, d.h. mediale Gefahrenzone sowie  in den nachhaltig ausgelegten Aktionsradius nächtlicher, schwarzgewandeter Einsatzgruppen zu geraten, will bedacht sein. Jüngst widerfuhr dies wieder mal einem Berliner  Journalisten, dem BZ-Kolumnisten Gunnar Schupelius, der Widerspruch gegen die am Oranienplatz demonstrierte Praxis gelungener Migration erhoben hatte.

Freitag, 14. März 2014

Zum verpönten Begriff Geopolitik

Der insbesondere in Deutschland aus naheliegenden Gründen (sc. der verlorene "Große Krieg" 1914-1918/19 mit dem Schlüsseljahr 1917,  sodann die mörderisch-selbstmörderische Reprise unter dem Weltkriegsgefreiten A.H.) verpönte Begriff "Geopolitik" erlebt in den Kommentaren zum Umsturz in Kiew und zur bevorstehenden russischen Annexion bzw. Reconquista  der Krim eine Renaissance. Außerhalb des großdeutsch-gründeutschen Lagers beginnt man zu erkennen, dass es im neu aufgelegten West-Ost-Konflikt weniger um hehre demokratische "Werte", sondern wesentlich auf beiden Seiten um ein geopolitisch und geostrategisch angelegtes Machtspiel geht. Putin drängt derzeit den von vier Kriegen - unter Führung der "einzigen Weltmacht" (Zbigniew Brzezinski) USA - geschwächten Westen in die Defensive, um angestammte geopolitische Positionen am Schwarzen Meer zurückzugewinnen.

Vor diesem Hintergrund  darf der Blogger das Publikum  an seine Aufsätze in Iablis und GlobKult erinnern:

Geopolitik – Zur Wiederkehr eines verloren geglaubten Begriffs im 21. Jahrhundert 
http://www.iablis.de/iablis_t/2009/ammon09.html

sowie "NeueGeopolitik? Vom begrenzten Nutzen der reinen Frankfurter Theorie"

http://www.globkult.de/herbert-ammon/532-neue-geopolitik-vom-begrenzten-nutzen-der-reinen-frankfurter-theorie



Dienstag, 11. März 2014

Überlegungen zum kalten Krimkrieg 2014

Noch wird auf der Krim nicht geschossen, doch wäre es verfehlt, auf eine schnelle, friedlich-schiedliche Lösung des erneuerten, vom Kiewer Majdan nach Simferopol verlagerten, wiederaufgelegten Ost-West-Konfliktes zu hoffen. Auch die Bilder, die in den Medien (etwa in der heutigen FAZ vom 11.03.2014) zu sehen sind, vermitteln den gegenteiligen Eindruck: In Sewastopol wird - laut Bildunterschrift - ein am Boden liegender Mann, offenbar ein Anhänger der neuen Kiewer Regierung,  von einer Gruppe von Rabauken, darunter einer mit Baseball-Schläger, mit Prügeln traktiert. Auf einem anderen Foto marschieren pro-russische Demonstranten mit roten Standarten der   "Ukrainskij Front" aus dem II. Weltkrieg auf.

In Parenthese: Die üble Prügelszene legt eine ironische Reflexion über den Umgang mit dem Begriff  "rechts", Synonym für alles Böse, nahe. Während Putin und sein patriotisches Fußvolk die anti-moskowitischen Majdan-Demonstranten allesamt als "Faschisten" titulieren, galt hierzulande der Baseball-Schläger über Jahre hin als Markenzeichen der "Rechten" und/oder Neonazis. Ebenso läßt das zweite Bild erkennen, wie bedeutungslos in dem historisch verwurzelten Machtkonflikt um die  Zukunft der Ukraine und der Krim die Ideologien von gestern sind: Es geht um die Wiedergewinnung der alten russischen Machtposition gegenüber dem Westen, der in der Ära Clinton  - entgegen den auf Zusagen gegründeten Erwartungen Moskaus -  in kühlem Kalkül  die russische Schwäche in der Ära Jelzin nutzte, um die  NATO nach Osten auszuweiten.Vor und nach dem 21. November ging es darum, die geopolitische Schlüsselregion Ukraine aus der russischen Einflußsphäre herauszubrechen.  Dass es sich bei einer solchen  Einschätzung der realen  Lage aus deutscher, zentraleuropäischer Sicht um eine unkritische,außenpolitisch gefährliche  Übernahme des russischen "Narrativs" handle, behauptete der Konstanzer Politikwissenschaftler Wolfgang Seibel am   Samstagsausgabe  (FAZ v. 08.03.2014), indem er vor den Folgen der "Berliner Versäumnisse" warnte.

Dass der Altbundeskanzler  Gerhard Schröder für seine verständnisvollen, wenngleich  widerspruchsvollen Worte für Putin und die russische Position nichts als Entrüstung ernten würde, war zu erwarten. Dass die Bundesregierung aufgrund ihrer anscheinend noch immer auf Mäßigung  bedachten Position unter ihren NATO-Bündnisgenossen in Isolation geraten könnte, wird in den Kommentaren nur vorsichtig angedeutet. Falls zwischen Moskau auf der einen Seite, Washington, Kiew, Warschau und  Brüssel auf der anderen nicht noch eine friedliche Abwicklung der Krimkrise zustandekommt, droht der machtpolitische Rückfall in den Kalten Krieg, was  einigen Akteuren vielleicht  nicht unrecht käme. In Gefahr gerieten dabei auch die bis dato ausgezeichneten deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen.

Vor diesem Hintergrund liest man  mit Zustimmung die auf Vermittlung und Entspannung bedachten Überlegungen unter der Überschrift "Die Ukraine-Krise wie die deutsche Frage lösen"  des früheren Moskau-Botschafters Ernst-Jörg von Studnitz (in der FAZ unter "Fremde Federn", S. 10). Er schlägt im Blick auf die in der Geschichte begründeten Bruchlinien  eine Föderalisierung der Ukraine sowie  - jenseits der von westlicher Seite angestrebten "Westintegration" des Landes - einen Vertragsmodus vor, der die - zumindest in der Donezk-Region sowie auf der Krim historisch begründeten -  russischen Interessen in Region berücksichtigt. "Ein Zerbrechen der Ukraine und der Beitritt einer westlichen Ukraine zur Nato läge absolut nicht im russischen Interesse."

Mit Studnitz kommt eine Stimme der Vernunft zu Wort. Ob sie bei  den am Konflikt interessierten Akteuren Beifall findet, muss leider fraglich bleiben. Schließlich steht der frühere deutsche Botschafter als Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums unter Verdacht, er sei ein Vertreter eines deutschen Sonderwegs in der Tradition des - ehedem vom grün-moralischen Außenminister Joschka Fischer, vormals Chef der Frankfurter "Putz"-Truppe, gedenk- und geschichtspolitisch purgierten - alten AA.

P.S. Inzwischen hat selbst Altbundeskanzler Kohl, dem weiß Gott keine deutschen Sonderwege zu unterstellen sind, vor dem insensiblen Umgang des "Westens" mit Rußlands berechtigten Interessen  (sc. am Schwarzen Meer) gewarnt. Merkel präferiert vermeintlich friktionsfreie Anpassung an die vermeintlich nichts als demokratisch lauteren Konzepte unserer Verbündeten.

Mittwoch, 5. März 2014

BHL auf dem Majdan

Auf der ersten Feuilleton-Seite  der FAZ vom 4.März 2014 (S.9) ist in gekürzter Version die Rede abgedruckt, die Frankreichs Starpolitiker unter den nouveaux philosophes, Bernard-Henri Lévy,  am 2. März auf dem Majdan in Kiew gehalten hat.

BHL sprach zum "Volk des Majdan", das "mit nahezu bloßen Händen die Berkut-Einheiten zurückgedrängt" habe. Er rühmte die jungen Menschen, "die mit der Europa-Fahne in den Händen gestorben sind."  Er stellte die  Kämpfer gegen Janukowitsch und ihre Tugenden des Widerstands in die Tradition des Generals de Gaulle und rückte  die aus seiner Sicht von Putin  angestrebte Abspaltung des russischsprachigen Ostens des Landes in  historische Parallele zur Sudetenkrise 1938: "Das Argument ist bekannt: Es ist dasselbe Argument, das Hitler 1938 vorschob, um in die Tschechoslowakei einzumarschieren, weil die Sudetendeutschen deutschsprachig seien. Aber ihr, das Volk des Majdan, seid da, um dieses neue Verbrechen zu verhindern. aber ihr die Jugend des Majdan, seid da, um zu verhindern, dass eure Brüder im Osten abermals unter den Stiefel des Imperiums geraten."

Wie stets bei seinen Kreuzzügen fürs Gute in der Welt - blutig und folgenreich chaotisch beim Sturz und Tod des libyschen Diktators Gaddafi anno 2011, bis dato erfolglos im rhetorischen Kampf gegen das Alawiten-Regime in Syrien - brachte BHL eine segensreiche Strategie mit: Der  im November von Janukowitsch in letzter Minute verweigerte - Assoziierungsvertrag mit der EU müsse unverzüglich  "hier in Kiew" unterzeichnet werden. Europa solle Putin auf seinem Gas sitzen lassen. In Einklang mit Obamas Ankündigung von "Sanktionen" drohte BHL dem Herrscher im Kreml den Rauswurf aus der G 8 an. Sodann: "Und Hollande, Merkel, Obama könnten dem Räuber der Krim und - was Gott verhindern  möge - des Donezkbeckens, dass er nicht willkommen sein werde, wenn man in einigen Wochen in Frankreich den siebzigsten Jahrestag der Landung der Befreiungsarmee in der Normandie feiert." Nach  Invokation des spanisch-republikanischen Kampfrufes "No pasarán!" schloss BHL  mit dem von de Gaulle entliehenen patriotischen Appell: "Es lebe die eine unteilbare und freie Ukraine! Es lebe  Frankreich, es lebe Europa, und es lebe die Ukraine in Europa!"

Die Worte des Missionars BHL in Putins Ohr!  Wären die Russen geneigt, sich mit dem französischen philosophe auseinanderzusetzen, fehlte es ihnen nicht an Argumenten. Von "München" (30.September 1938) und  Hitlers Einmarsch in Prag (15.März 1939) abgesehen, nimmt´s Lévy mit  den Fakten nicht so genau: 1) Bis zum 21. November 2013 fanden Vertreter der EU nichts dabei, mit dem ob seiner anrüchigen Praktiken hinreichend bekannten Janukowitsch einen Vertrag zu schließen. Erst danach ging man daran, die Demonstranten auf dem Majdan mit umfangreicher demokratischer Logistik zu unterstützen. 2) Entgegen der von Steinmeier, Fabius und Sikorski erzielten Vereinbarung zur Abwendung des Bürgerkriegs setzte das ukrainische Parlament am 22. Februar einstimmig (!?) Janukowitsch ab. 3) Am Tag darauf wurde Russisch als zweite Amtssprache in der Ukraine abgeschafft, EU-Minderheitenrechte hin oder her. 4) Die laut Lévy  "eine und unteilbare Ukraine" ist historisch ein eher fragiles Gebilde. 1918-1920, sodann 1939/1944 wurde zusammengefügt, was nicht zusammengehörte. Doch wer in Europa oder anderswo möchte sich schon auf brisante historische Grenz(ziehungs)fragen einlassen, mit politisch probaten Ausnahmen wie des Kosovo (woran die Russen den Westen gerade erinnern)? 5) Sollte Putin ( laut BHL der  "Räuber der Krim")  mit offenem Militäreinsatz  die Annexion der Krim betreiben, so bedeutete dies fraglos die Verletzung der Verträge von von 1994 und 1997. Als Rechtfertigung kommt indes das historische  sowie das völkerrechtliche ( je nach Macht- und Interessenlage "umstrittene")  Argument der Selbstbestimmung ins Spiel. Schließlich war die 1954 von Nikita Chruschtschow  großzügig vollzogene "Schenkung" der Krim an die Sowjetrepublik Ukraine alles andere als ein Akt demokratischer Selbstbestimmung.

Wie das ost-westliche Mächtespiel in der Ukraine und auf der Krim am Ende ausgeht, muss vorerst offen bleiben. Dass BHL mit seinen politischen Rezepten kein guter Ratgeber ist, hat  die Entwicklung in  Libyen nach dem Tode Gaddafis hinlänglich gezeigt. Nur ist Libyen, wo soeben "demokratische Wahlen" stattgefunden haben,  derzeit für Politik und Medien nicht mehr so wichtig.

P.S.
1) Auf der Krim werden offenbar nach Ankündigung eines nochmals vorgezogenen Referendums Fakten für den Anschluß an Rußland geschaffen. Diesbezüglich hätte der Blogger eine Prognose durchaus wagen können.

2) Hochinteressant bezüglich des blutigen Spiels auf dem Majdan  ist die Information, die nach der Absetzung und Flucht Janukowitschs in Kiew installierte Regierung habe kein Interesse gezeigt, die todbringenden Schüsse bei den Demonstrationen auf dem Majdan aufzuklären. Man wusste zwar bereits zuvor, dass auch von Seiten der Demonstranten geschossen wurde, aber dass die "Scharfschützen" nicht allein zu den Janukowitsch-Leuten zählten, gibt der Deutung der Kämpfe auf dem Majdan einen weiteren spin.
Siehe dazu:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/krise-in-der-ukraine-telefonat-mit-ashton-abgehoert-a-957159.html.