Donnerstag, 22. Februar 2024

Auf dem Weg zu einer neuen Verfassung

Es gehört zu den Machtinstrumenten autoritärer und diktatorischer Regimes, die Unterdrückung bürgerlicher Freiheiten durch Dekrete, Verordnungen oder Erlasse, meist deklariert als "Gesetze",  einzuschränken oder zu beseitigen. Geheimdienste, der Polizeipparat, Schlägertupps sowie die regimefromme Justiz sichern das unterdrückerische System gegen Nonkonformisten oder Dissidenten ab, gegen alle, die sich der Rolle gläubiger, gehorsamer oder angsterfüllter Untertanen verweigern. 

Als abschreckendes Beispiel haben wir seit langem - nicht erst seit dem Krieg gegen die Ukraine - das Regime Putin vor Augen. Als weitere Beispiele kommen auch Staaten wie Belarus oder Aserbeidschan sowie andere aus der Konkursmasse des Sowjetimperiums hervorgegangene Republiken in den Sinn. Mit der Ukraine, die sich nach westlicher Einschätzung auf einem guten Weg zur Demokratie - von Korruption abgesehen - befindet, hat es seine eigene Bewandtnis. Während wir noch entsetzt sind über den Tod des unbeugsamen russischen  Regimekritikers Nawalnyi, erfahren wir nichts oder wenig wie im "Deutschlandfunk" https://www.deutschlandfunk.de/gonzalo-lira-prorussischer-us-blogger-in-ukrainischem-gefaengnis-gestorben-dlf-e2df984f-100.html, ansonsten nur in - je nach Bedarf -  als "umstritten", "linksextrem" oder "rechtslastig" klassifizierten Medien wie  "Junge Welt" https://www.jungewelt.de/artikel/466780.konflikt-in-osteuropa-kritiker-kiews-verstummt.html oder "Weltwoche" https://weltwoche.ch/daily/despot-selenskji-us-blogger-gonzalo-lira-stirbt-in-ukrainischem-gefaengnis-wo-bleibt-die-kritik-polizeigewerkschafter-wendt-bauern-sollten-schon-frueh-diskreditiert-werden-franz-beckenbauer-gegen/https://weltwoche.ch/daily/despot-selenskji-us-blogger-gonzalo-lira-stirbt-in-ukrainischem-gefaengnis-wo-bleibt-die-kritik-polizeigewerkschafter-wendt-bauern-sollten-schon-frueh-diskreditiert-werden-franz-beckenbauer-gegen/ - über die Ursachen und Umstände, unter denen der amerikanisch-chilenische Doppelstaatsbürger Gonzalo Lira, ein pro-russischer Blogger,  in einem Gefängnis in Charkiw zu Tode gekommen ist. Bereits zuvor einmal verhaftet und wieder freigelassen, war dieser im Begriff, aus der Ukraine über die ungarische Grenze zu flüchten, als er von Staatsorganen geschnappt und eingesperrt wurde.  Rechtlich zulässig wäre es seitens der Ukraine gewesen, den ausländischen Putin-Freund des Landes zu verweisen.   Normalerweise hätte sich auch die amerikanische Regierung um ihren Staatsbürger kümmern müssen...

Derlei Vorkommnis ist nach unser aller Vorstellung in der freiheitlichen Demokratie auszuschließen, auch wenn derzeit einige - naturgemäß als Putin-Versteher verdächtigte - Kritiker auf das ungewisse Schicksal des seit 2018 in einem Londoner Gefängnis einsitzenden australischen Whistleblowers Julian Assange verweisen. Nach unserer demokratischen Überzeugung gehören zu den Markenzeichen der Demokratie - oder liberalen Demokratie - die Freiheitsrechte des Bürgers, verankert in der Verfassung. Der Staat als Zweckverband dient der Sicherung der Grundrechte. Zu ihnen zählen die Meinungs- und Pressefreiheit, die Freiheit von Kunst und Wisenschaft,  Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit usw. 

Laut Präambel unserer - 1990 nach Beitritt der DDR und Wiedervereinigung etwas modifizierten - Verfassung  hat sich "das Deutsche Volk" - in Großbuchstaben und "völkisch" klingend - "dieses Grundgesetz gegeben". Hier soll es nicht um die Grundproblematik einer aus der "Volkssouveränität" hervorgegangenen "modernen" demokratischen Verfassung gehen. Wohl aber ist auf  einen - in der "politischen Bildung" meist vermiedenen Aspekt - der auf eine Verfassung gegründeten res publica zu verweisen: auf die Diskrepanz zwischen Verfassungstext (und zugrundeliegendem Verfassungsideal) und realer Verfassungspraxis, in welche wiederum die - jede Art von Verfassung fundierende  - politisch-soziale Wirklichkeit hineinwirkt. Das lebenswichtige Substrat einer Verfassung besteht zum einen aus der einigermaßen gesicherten materiellen Basis, zum anderen aus dem ideellen Grundkonsens des Volkes (nota bene: wiederum als Basis, nicht als Überbau). Wenn die Basis ins Wanken gerät, droht eine Staatskrise, folglich auch eine Verfassungskrise.

Laut demokratischer Lehre entspringt die gesetzgeberische Praxis des Parlaments der in der Verfassung fixierten Volkssouvernität und der Bindung der Volksvertretung an die Verfassung. Im Ausnahmefall - falls irgendwer es "unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen" -, ist laut Art. 20 (4) ein Widerstandsrecht des/der verfassungstreuen Staatsbürger vorgesehen. Wer den Ernstfall feststellt, und wer sodann das Recht auf Widerstand wahrzunehmen gedenkt, ist im betreffenden Artikel nicht definiert. 

Es ist kein Geheimnis, dass sich die Bundesrepublik Deutschland in einem unguten Zustand befindet. Bei niedrigstem Wirtschaftswachstum in Europa, ungedeckten Staatsausgaben schrumpft die Umverteilungsmasse, bei wachsenden Versorgungsansprüchen und höheren Belastungen fast aller Bevölkerungsgruppen wachsen Zukunftsängste in Teilen des Volkes. Unmut erregt nicht zuletzt die Transformation (lat. Umformung) der Gesellschaft dank ungesteuerter Einwanderung (=Immigration,  nicht  Migration). In Reaktion auf die genannten Phänomene kommt es zu einer Polarisierung des Staatsvolkes: auf der Rechten vor allem  die AfD samt "Flügel"- und neuerdings auch eine "Werteunion" -, auf der Linken - mit Ausnahme der jungen Wagenknecht-Partei -  alles, was grün oder rot ist, mit gewalttätiger Antifa-Putztruppe als mehr oder weniger willkommenem Anhang. 

Von außen betrachtet, handelt es sich um Symptome einer fortschreitenden Krise.  Die Ampel-Regierung  ist offensichtlich nicht in der Lage - womöglich auch gar nicht willens -, den durch ihre Politik verstärkten, in Richtung Krise tendierenden Problemstau zu bewältigen. Statt verantwortungsvolle Politik zu betreiben, konfrontiert sie die Bürger mit immer neuen materiellen und ideologischen Zumutungen, von der Wärmepumpe über die Wald, Wiesen und Getier bedrohenden   Windkrafträder bis hin zur Familie neuen Typs. 

In dem Maße, wie sich - nicht nur seitens der als "gesichert rechtsextremistisch" klassifizierten AfD - politischer Widerspruch gegen derlei Praxis formiert, reagiert die Ampel-Regierung mit Gesetzesentwürfen, deren Fragwürdigkeit bereits in ihrer Nomenklatur ins Auge fällt: Ein "Demokratieförderungsgesetz" soll "zivilgesellschaftlichen", realiter regierungsfrommen, Nichtregierungsorgansisationen (NGOs) zu noch mehr Geld und Einfluß verhelfen. Umgekehrt geht es darum "verfassungsschutzrelevanten" Bestrebungen zur "Delegitimation des Staates" mit neuen Gesetzen entgegenzuarbeiten. Das kann den Entzug von Beamtenpensionen  oder die Kündigung von Bankkonten für unbotsame Meinungsträger oder Organisationen bedeuten. Kurz: Die Regierung - unter Federführung von Innenministerin Nancy Faeser - ist dabei, die bürgerlichen Freiheitsrechte einzuschränken. Sie bastelt an der Verfassung. 

Vor dem Hintergrund ihrer DDR-Erfahrung schreibt die Schriftstellerin Monika Maron in der "Welt": "Der Rechtsstaat ist die Garantie für die Demokratie. Man kann die Demokratie nicht verteidigen, indem man am Rechtsstaat rüttelt." (zitiert auf Facebook).  Matthias Brodkorb, ehedem SPD-Kultusminister in Mecklenburg-Vorpommern, zuvor engagiert im Kampf gegen real existierende Neonazis im Lande, jetzt Publizist bei "Cicero", nennt das, was die Ampel-Regierung betreibt, ohne Umschweife  "eine Schande für die Demokratie: "Was macht man eigentlich, wenn die Regierung Programme zur Rettung der Demokratie verkündet, dabei aber selbst die Axt an deren Fundament legt? Man steckt dann in einer Zwickmühle: Begehrt man dagegen nicht auf, verrät man die Idee des demokratischen Rechtsstaates. Tut man es doch, muss man damit rechnen, künftig selbst als Verfassungsfeind zu gelten, weil man die Regierung kritisiert." (https://www.cicero.de/innenpolitik/attacken-bundesregierung-rechtsordnung-lisa-paus-nancy-faeser).

Harald Martenstein bringt den 13-Punkte-Plan Faesers auf den Begriff: "Der autoritäre repressive Staat, das Feindbild vieler aus meiner Generation, kommt zurück. Das zeigen die Pläne der Ministerinnen Faeser und Paus. Denn: Statt die Ursachen des Erstarkens anzugehen, bekämpfen sie die AfD mit Unterdrückung. Dazu schaffen sie gerade die nötigen Instrumente." https://www.welt.de/politik/deutschland/plus250239794/Neben-der-Spur-Faeser-und-Paus-wollen-das-AfD-Problem-durch-staatliche-Repression-loesen.html

Mein Kommentar auch auf der "Achse des Guten": https://www.achgut.com/artikel/auf_dem_weg_zu_einer_autoritaeren_verfassung sowie auf TRM: https://www.tabularasamagazin.de/herbert-ammon-bundesinnenministerin-nancy-faeser-bastelt-an-der-verfassung/

Sonntag, 11. Februar 2024

Nachbarschaftshilfe

Der Appell zur Abwehr der Gefahr von "rechts", zur liebevollen  Umarmung - "Hand und Hand" - des Reichstags am ersten Samstag im Februar, erreichte mich per zweimaliger Rundmail aus der Nachbarschaft. Ein besonders aktiver Aktivbürger ermunterte die Anwohner des Wohnviertels, sich trotz oder wegen des angekündigten Regens zur gemeinsamen Busfahrt zur Verteidigung der Demokratie am geschichtsträchtigen Ort zu versammeln. Die nachbarliche Animation zur Einübung demokratischer  Reflexe samt Versprechen eines Gemeinschaftserlebnisses erweckte  historische Assoziationen.

Zu DDR-Zeiten wurden die "Werktätigen", inklusive der an Schreibtischen Tätigen, zu den hohen Festtagen des Arbeiter- und Bauernstaates aufgerufen, sich "massenhaft" an den diversen Demonstrationen unter den stets gleichen Parolen - für den Weltfrieden, gegen den Imperialismus, für den Aufbau des Sozialismus, gegen den Faschismus usw. - zu beteiligen. Dies geschah regelmäßig zum Gedenktag für Rosa und Karl am 15. Januar, zum Kampftag der Arbeiterklasse am 1. Mai,  sodann zum Tag der Befreiung am 8. Mai, zuletzt am 7. Oktober 1989 zum 40. Jahrestag  der DDR, abgesehen von der allerletzten Kampfdemonstration gegen den Faschismus zur Rettung der DDR am 3. Januar 1990 vor dem sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park.

Über die Details dieser Mobilisierung der Kampfbereitschaft wissen ältere Ex-DDRler besser Bescheid als ein jeglichem Massenauftrieb abholder Westbürger. An den Arbeitsplätzen waren Gewerkschafts- und Parteifunktionäre für die Bereitstellung der Massen zuständig. Außerdem gab es in den Wohngebieten bzw. in den Miethäusern gewählte (!?) "Vertrauensmänner" oder "-frauen", die sich um Gemeinschaftsaufgaben wie Spielplätze, Sauberkeit und Ordnung, um staatsbürgerliche Gesinnung zu  den Wahlen - bekannt als "Zettelfalten"  - sowie um das sozialistische Bewusstsein an den erwähnten Terminen zu kümmern hatten. 

In der rechtstaatlich verfassten Demokratie lebt der Passivbürger - im Unterschied zu dem von der Zivilgesellschaft von selbstauferlegten Aufgaben täglich beanspruchten citoyen - ungestört von politischen Pflichtveranstaltungen. Zumindest war dies meine Vorstellung bis zu den "Demos" der Kids, als die von ihren Lehrerinnen und Lehrern (m/w/d) an den Schulen angehalten wurden, an den "Fridays for Future", unter Führerinnen wie  Greta Thunberg und Lisa Neubauer, gegen das nahende Weltende zu protestieren. Sofern das Wetter mitspielte, waren die Schüler und -innen gerne bereit, in ihrer peer group gegen die Apokalypse fröhlich über die Straßen zu ziehen - und anschließend zu McDonald´s -, statt sich in den Klassenräumen mit Mathe, Latein, Bio und Powi (= Politik und Wirtschaft) zu langweilen. 

Seit dem erst im Januar aufgedeckten "Geheimtreffen" im November in Potsdam, wo Mitglieder der Werteunion (und bis dato auch noch der CDU) zusammen mit Protagonisten der AfD über einen Masterplan zum Umsturz unserer freiheitlichen Demokratie, zumindest zur Massendeportation von deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund beraten haben sollen, gehen die Massen in Deutschland wieder auf die Straße. Es gilt die Wiederkehr der Nazizeit zu verhindern. Klar, "nie wieder" soll es ein zweites 1933 geben! Wer wollte derlei Warnungen in den Wind schlagen, wer wünschte sich schon eine Wiederkehr der braunen Pest? Vermutlich noch nicht einmal der AfD-Flügelmann Höcke. 

Nie wieder? Das einzige, was sich in Deutschland von Zeit zu Zeit wiederholt, ist die Erregbarkeit von Deutschen, von "Massen", besser von Bevölkerungsteilen, die vermeinen, die Komplexität des Politischen - der von Machtgebilden, Machtinteressen, Ideologien und Kontingenzen durchwirkten Wirklichkeit - mit der Reinheit ihres Herzens zu durchdringen und zu bezwingen. Emotionalität statt Rationalität.Was die vermeintliche Gefahr einer faschistischen Machtergreifung anno 2024 betrifft, so hilft gegen die endemische Anfälligkeit für nicht rationale Denk- und Verhaltensweisen  keineswegs die schlichte historische Einsicht, dass sich Geschichte nicht wiederholt. Wir können - ex post - allenfalls gewisse Analogien - unter anderen historisch-politischen Konstellationen  - feststellen.

Politik von heute lässt sich sinnvoll nicht mit Parolen von gestern machen. Mit gestanzten Begriffen kommt man - in Genese und Zeitumständen - historisch von Grund auf verschiedenartigen Phänomenen nicht auf den Grund. Höcke ist kein Hitler (so wenig wie ein Saddam Hussein - oder ein Milosevic - einer war), Putin ist kein Stalin (auch wenn er ihn geschichtsideologisch aus der Versenkung holt und seine Herrschaftspraxis diktatorisch und brutal ist), Trump ist kein lateinamerikanischer Diktator (auch wenn er Macho-Gebaren zur Schau trägt.)

Eine NS-Machtergreifung steht in Deutschland  nicht bevor. Was wir stattdessen erleben,  ist der Aufstieg der AfD zu einer Partei mit plus/minus 20 Prozent Sympathiewerten in den Umfragen.  In ihnen artikuliert sich der Unmut des "Volkes", genauer: eines wachsenden Teils der Bevölkerung, über die - als alternativlos propagierten - Fehlentscheidungen der Regierung Merkel und deren Folgen sowie deren Fortsetzung unter der "Ampel". Was wir erleben, ist, dass das "Volk" bedrängende Fakten von der politisch-medialen Klasse ignoriert werden.

Noch einmal, auch wenn es die um unser deutsches Seelenheil Besorgten nicht hören, nicht wissen, nicht hören wollen: Der Ausstieg aus der Kernenergie, der Ausbau der sog. "erneuerbaren Energien", trieb die Stromkosten für Privathaushalte in unzumutbare Höhe, gefährdet die Existenz von Betrieben. Zahllose Menschen müssen mit unzureichenden Renten auskommen und sind von Altersarmut bedroht. Die massenhafte - nicht erst seit der  Merkelschen Grenzöffnung 2015  einsetzende, entgegen allen Deklamationen ungesteuerte Einwanderung ("Zuwanderung") hält unvermindert an. Im Jahr 2023 erreichte die Zahl der Asylanträge mit 351 795 - ohne die vom Asylverfahren freigestellten Ukrainer -  erneut einen  Höchststand. (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/76095/umfrage/asylantraege-insgesamt-in-deutschland-seit-1995/).

Die Zustände in den "Problembezirken" und den "Brennpunktschulen" verweisen - von den exorbitanten  Kosten abgesehen - jegliche Rede von "Integration" in den Bereich des Absurden. Nicht zufällig ist der Begriff "Leitkultur" in der unendlichen Integrationdebatte verpönt. Er beinhaltet die Akzeptanz der  historischen Last der NS-Vergangenheit für "die Deutschen" - ein Kollektivbegriff, der in derlei historisch-politischem Kontext einen ethnisch-kulturellen Bezug hat. Der  gegen die "völkische" AfD zielenden - von Verfassungsschützern wiederholt proklamierten und in mehreren Gerichtsurteilen bestätigten -  postnationalen Definition des Staatsvolkes als einer gleichsam geschichtsfreien,  ethnisch-kulturell heterogenen ("diversen") Gesellschaft liegt ein eklatanter Widerspruch zugrunde. Dem "Verfassungspatriotismus" der Bundesrepublik - id est dem von "progressiven" Apologeten der Migration als ideell hinreichend propagierten Bekenntnis zur res publica - liegt eine spezifisch deutsche Geschichte zugrunde, die der Mehrheit der (Im-)Migranten schnurzegal ist. Wie wenig sich - nicht nur -  arabisch-islamische Einwanderer um die "deutsche" Gedenkkultur scheren, beweisen die Demonstrationen gegen Israel auf deutschen Straßen oder die Hassszenen an deutschen Universitäten. Als zusätzlich erhellende Episode: Bei der jüngsten "Demo gegen rechts" wurde den Organisatoren empfohlen, den Demonstrationszug bessser um das "Problemviertel" Marxloh herum zu lenken.

Die Ursachen für die - derzeit dank BSW in den letzten Umfragen leicht abfallenden AfD-Sympathien - liegen offen zu Tage, auch wenn sie selten offen benannt werden.  "Integration" wird neuerdings als Aufgabe der "Aufnahmegesellschaft", nicht als Anforderung an die "Hinzukommenden" definiert. Die in den Parallelgesellschaften, in den "Brennpunktschulen", auf Straßen und Plätzen allenthalben sichtbare  Desintegration der Gesellschaft  wird heruntergespielt oder als "rechte" Panikmache geleugnet. Statt Fehlentwicklungen zu korrigieren, wird die deutsche Staatsbürgerschaft als politische Billigware gehandelt. Während Migration ("Zuwanderung") als ökonomische Notwendigkeit proklamiert wird, macht man sich wenig Gedanken, warum alljährlich Hunderttausende jüngerer Deutscher  - mit entsprechenden beruflichen Qualifikationen - auswandern, davon 10 000 in die USA. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/06/PD23_249_12411.html. Im Jahr der Wiedervereinigung 1990 zählte Deutschland 79 Millionen Einwohner. Ende 2023 waren es nach soeben veröffentlichter Statistik über 84,7 Millionen. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Wanderungen/_inhalt.html Ein ökonomisch-sozialer Gewinn für das Land? Warum fehlen dann immer noch Hunderttausende von "Fachkräften"?

Seit dem Abgang Merkels ist das Volk den aus Naivität und Ideologie erwachsenen Anmaßungen der "Ampel" unter grüner Führung - Bundeskanzler Scholz fällt als Führungsfigur faktisch aus - ausgesetzt. Zum "populistischen" Empfinden der Bürger, von einer abgehobenen Elite dirigiert zu werden, trägt die Konstruktion der EU bei. Vielfach "grün" eingefärbte Konzepte werden von einem bürokratischen Apparat in Brüssel ausgearbeitet und als "Richtlinien" in die Mitgliedstaaten lanciert. Die meisten davon werden sodann vom Bundestag gewöhnlich ohne Widerspruch gebilligt und erlangen dadurch Gesetzeskraft. Der jüngste Einspruch der FDP gegen das "Lieferkettengesetz" bestätigt als Ausnahme nur die Regel. 

Gegen diese Art von "demokratischer"  Machtausübung, die - unter immer höheren materiellen Belastungen - in  alle Lebensbereiche - Familie, Geschlecht, Sprache, Erziehung, Bildung, Beruf, Erholung ("Kein Bier für Nazis!"), Natur und Landschaftsbild - hineinwirkt, opponierte  - vor dem Auftritt Sahra Wagenknechts und der "Werteunion" -  als einzige politische Kraft im  Land  die AfD. Sie sammelt die Stimmen derer, die sich von den bis dato dominierenden Parteien nicht - oder nicht mehr - vertreten sehen. Man vergleiche die hohen Stimmenzahlen für die CDU in den östlichen Bundesländern von 1990 bis ca. 2010 mit den heutigen Umfragen und mit den wahrscheinlichen Wahlergebnissen im Wahljahr 2024.

Die Abwendung von den - in ihrer politischen Praxis, selbst in ihrer Programmatik kaum noch unterscheidbaren - Parteien ist nicht auf die AfD beschränkt, findet in deren spektakulärem Aufstieg seit der Bundestagswahl 2021 nur ihre politische Zuspitzung. Der Aufstieg der AFD  bedeutet den Abstieg der anderen, zuvörderst der SPD, aber auch der CDU, FDP und der "Linken".  Er stellt vor allem die "grüne" Hegemonie in Frage. 

Zur Abwehr der unliebsamen Konkurrenz - und somit der Gefahr des Machtverlusts - bediente  sich die classe politica über Jahre hin des Negativbegriffs "Populismus". Da diese Formel zur Zurückdrängung der anwachsenden Mißstimmung im Volk offenbar nicht mehr genügt, steigerte man - parallel zu den Umfragen - die Kampfrhetorik gegen die AfD von "Rechtspopulismus" zu "Rechtsextremismus". Und: Zeitgleich mit  den  - gegen alle Evidenz - als "rechts" klassifizierten israelfeindlichen Demonstrationen von Migranten begann die Mobilisierung des -  als moralisch-demokratische Mehrheit ("Wir sind mehr!") umworbenen - Volkes.  

Es bleibt abzuwarten, wie lange die Bereitschaft zur Mobilmachung gegen "rechts" im Volk noch anhält. Da die Regierung keine Anstalten macht, den - vornehmlich aus ungesteuerter  Einwanderung erwachsenen - Probleme  durch verantwortungsvolle, glaubwürdige Politik zu begegnen, wird der Unmut des Volkes - "der Menschen draußen im Lande" - zunehmen. Die ungelösten - womöglich bereits unlösbaren - kulturell-sozialen und ökonomisch-materiellen Probleme können zu - Konflikten führen, für die keine Lösung bereitliegt.  In derlei Krisenlage droht die wirkliche Gefahr für die Demokratie von Seiten eines autoritär werdenden Staates.

Der Aufforderung zur Abwehr der Gefahr von "rechts" kam, wie eingangs beschrieben, aus der Nachbarschaft.  Über ähnliche Nachbarschaftshilfe berichtete mir ein guter Bekannter aus Münster Was geschieht, wenn man sich der Einladung verweigert? Mutatis mutandis kann sich Geschichte eben doch wiederholen.

Zuerrst auf der "Achse des Guten": https://www.achgut.com/artikel/nachbarschaftshilfe_gegen_rechts 



 

 


Mittwoch, 31. Januar 2024

Das andere 1968

Peter Brandt und Gert Weisskirchen haben bereits 2022 eine Aufsatzsammlung über den hierzulande nahezu vergessenen "Prager Frühling" herausgegeben (Peter Brandt – Gert Weisskirchen (Hg.): Sozialismus mit menschlichem Antlitz. Der Aufbruch in der Tschechoslowakei 1968 in seinem historischen Umfeld, Bonn (Verlag J.H.W. Dietz Nachf.) 2022, 287 Seiten). Im Vorgriff auf meine  demnächst auf Globkult erscheinende Besprechung des Buches zitiere ich nachfolgend folgenden Auszug:

"Historisches Faktum bleibt, dass [anno 1968] der reformsozialistische Aufbruch in Prag vor allem in der revolutionär erregten westdeutschen Studentenszene nur geringe Beachtung fand. Mit den „drei M“ - Marx, Marcuse, Mao – hatten die osteuropäischen Regimegegner wenig im Sinn. „Während junge Menschen in Westeuropa auf den Straßen die Namen kommunistischer Führer wie Mao, Fidel,Che oder »Onkel Ho« skandierten und sie als Helden des antiimperialistischen Befreiungskampfes feierten, versperrte die DDR den Zugang zur chinesischen Botschaft in Ost-Berlin“, schreibt Anna Kaminsky, Vorstandsmitglied der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, in ihrem Beitrag über die Reaktionen in der DDR auf den Prager Frühling. „Während im Westen fernöstliche religiöse und spirituelle Bewegungen Anhänger fanden, wurden in der DDR Kirchen gesprengt, um Platz für die sozialistische Umgestaltung der Städte zu schaffen.“ (168f.)

Auf „das andere »Achtundsechzig« in Osteuropa“ verweist auch Luciana Castellina, KPI-Mitglied seit 1947, die 1969 als Mitbegründerin der Gruppe il manifesto aus Protest gegen die halbherzige Haltung der KPI gegenüber Moskau mit der Partei brach. Sie erinnert „sich noch, wie erstaunt wir in den Tagen unmittelbar nach dem Einmarsch in Prag über die Reaktionslosigkeit waren, die wir bei einem Großteil der jungen »Achtundsechziger« feststellten.“ (252) „Rudi Dutschke war der einzige »Achtundsechziger«, der sich für Dubčeks Reformversuch interessierte...“ Wenige Tage vor dem auf ihn verübten Attentat fuhr Dutschke nach Prag, wo er seine Prager Gesprächspartner vor der „Gefahr einer vorübergehenden Überhöhung der bürgerlich-demokratischen Kräfte“ und vor einer „Unterwanderung durch antisozialistische Ideen“ glaubte warnen zu müssen. (Ibid.) In Italien begriff selbst nach der Selbstverbrennung von Jan Palach (am16. Januar 1969) „keine der Publikationen der Neuen Linken...die Ungeheuerlichkeit des Geschehens“. Der Exilant Jiří Pelikan (1923-1999), als Direktor des tschechoslowakischen Fernsehens ein maßgeblicher Protagonist des „Frühlings“, wurde in Rom nur von der Manifesto-Gruppe unterstützt.

Was die unter allen Proklamationen des „Internationalismus“ der 1968er Bewegung verdeckten „nationalen“ Impulse betrifft, so sind Castellinas Begegnungen mit den radikalen japanischen »Achtundsechzigern« aufschlussreich. Die linksradikalen Zengakuren agierten an den besetzten Universitäten mit rasierklingenverstärkten Bambusstöcken. Sie glaubten, durch einen Akt der Gewalt den historischen Zustand überwinden zu können, der in ihrer uralten Gesellschaft durch eine oberflächliche, von den USA gewaltsam übergestülpte Modernisierung eingetreten sei. Als Weg der Befreiung wählten die Zengakuren – parallel zur westdeutschen RAF – den Weg in den Terror.

Für Jiří Dienstbier war rückblickend »68« eine der schönsten Traditionen unserer modernen Geschichte, schreibt Weisskirchen. Es sei ein Nationen übergreifender Aufstand gewesen, ein »Kampf um die Freiheit.«. (281). Weniger optimistisch spricht Castellina – unter Bezug auf Paolo Mieli, ehedem Aktivist der Lotta Continua, heute Präsident der mächtigsten italienischen Verlagsgruppe, zu der der Corriere della Sera gehört – von dem verlorenen Glück der damaligen Jugendlichen, aus ihrer Einsamkeit herauszukommen und kollektiv zu handeln. Die „wirkliche Errungenschaft von »Achtundsechzig“ [sei] die Entdeckung der Politik und gleichzeitig der Subjektivität [gewesen], die notwendig ist, um sie zu praktizieren.“ (255) Angesichts der unter neoliberalen Vorzeichen etablierten Liaison von „Silicon Valley“ und Individualismus beklagt sie - ohne zu resignieren - den Verlust jener Erfahrung. Die Erinnerung an den Prager Frühling birgt die Hoffnung auf die Überwindung der auch in der liberalen Demokratie fortbestehenden Diskrepanz von Freiheit und etablierten Machtverhältnissen."

Jetzt auch als Text auf Globkult:

https://www.globkult.de/geschichte/rezensionen/2350-peter-brandt-gert-weisskirchen-hgg-sozialismus-mit-menschlichem-antlitz-der-aufbruch-in-der-tschechoslowakei-1968-in-seinem-historischen-umfeld,-bonn-verlag-j-h-w-dietz-nachf-2022,-287-seiten-herbert-ammon











Montag, 22. Januar 2024

Die Parteienlandschaft wird bunter

Es besteht Grund zur Aufregung. Nein, es geht nicht um die  - im Gefolge der vermeintlich verfassungsschützenden "Correctiv"-Aufdeckung des Potsdamer "Geheimtreffens"-  in den Städten inszenierten "Massendemonstrationen"gegen rechts sowie die entsprechenden Politikerreden. Demnach erleben wir wir in diesem Januar 2024 den Aufstand der "Zivilgesellschaft" gegen die drohende Wiederkehr der Hitlerschen "Machtergreifung"  am 30. Januar 1933. Es handelt sich um einen klassischen Fall von kognitiver Dissonanz, von bewusster Realitätsverkennung. Zwar liegt die AfD in den Umfragen seit Monaten stabil über 20 Prozent, aber an eine Regierungsübernahme unter einem Bundeskanzler Höcke - als eines Adolf redivivus - ist nicht im Traum zu denken. Selbst in den beiden östlichen Bundesländern, wo die AfD-Werte inzwischen bei weit über 30 Prozent liegen, wird es nach den Landtagswahlen im September d.J.  weiterhin an Koalitionspartnern  für eine Landesregierung mit der AfD an der Spitze fehlen. 

Die Frage ist vielmehr, ob und wie lange die "Brandmauer" aller Parteien gegen "die Rechten" hält, insbesondere, ob nicht doch irgendwann ein CDU-Politiker (sc. eine -in) in  Versuchung kommt, sich für das Amt des Ministerpräsidenten und die Bildung einer Minderheitsregierung von der AfD tolerieren zu lassen. Nicht minder spannend ist die Fage, in welchen Bundesländern  - außer in Thüringen und Brandenburg - die von der Wagenknecht-Abspaltung gebeutelte "Linke" noch über fünf Prozent und somit in die Landtage kommt, um dort, für lupenrein demokratisch befunden, als tapfere Mitstreiterin gegen die "braunblaue" Gefahr zu fungieren. 

Was in diesem Jahr in der politischen und medialen Klasse für begründete Unruhe sorgen wird, ist die Bewegung in der bundesrepublikanischen  Parteienlandschaft. Das gewohnte Bild - in der Mitte die beiden "Volksparteien", dazwischen die beiderseits umworbene FDP,  links davon die gesellschaftlich seit langem tonangebenden Grünen und als noch weiter links die als "Linke" demokratisch geadelte SED-Nachfolgepartei - ist bereits durch den Einzug der AfD in den Bundestag 2017, bestätigt bei den Wahlen im September 2021, verändert worden. Inzwischen haben sich im bayerischen Landtag und in Brandenburg sowie in einigen Kommunen die "Freien Wähler" als unerwünschte Konkurrenten der "konservativen" CDU und CSU etablieren können. 

Mit der Ankündigung einer Parteigründung mit dem konservativen Etikett "Werteunion" durch den einst von Angela Merkel als oberster Verfassungsschützer amtsenthobenen Hans-Georg Maaßen rutschen die bis dato als sicher geltenden Stimmenzahlen von 30 Prozent für die alte "Union" um einige Prozente nach unten. Wenn die in den ersten Umfragen zwischen sieben bis vierzehn Prozent veranschlagte Wagenknecht-Partei BSW ihre Sympathiewerte in Sitze in den Parlamenten umsetzt, werden vor allem SPD und die "Linke" Federn lassen, in geringerem Maße - als allgemein erhofft - die AFD.  Die derzeit bereits bei 15 Prozent angelangten Sozialdemokraten - seit langem kaum mehr als eine schwach rötlich angehauchte Variante der Grünen - könnte im einstelligen Bereich landen. In der FDP dürften sich - nach dem mißglückten Versuch, Lindner per Mitgliederbefragung zur Umkehr (bzw. zur Rettung der Partei aus der grünen Umklammerung in der Ampel) die letzten noch verbliebenen Nationalliberalen - und konsequenten Wirtschaftsliberalen - der Maaßen-Partei zuwenden, was die unter Lindner und Buschmann durchgrünten "Liberalen" in Absturzgefahr bringt. 

Mit womöglich nur noch 25 Prozent für die CDU/CSU reichte es angesichts einer derart zerklüfteten Parteienlandschaft weder für Merz noch für Söder oder Wüst selbst im Bündnis mit allen anderen - außer der AfD, versteht sich -  zu einer halbwegs tragfähigen Koalition. In den Landtagen, womöglich auch im Bundestag, werden fortan weder die Grünen den Ton angeben noch die FDP das Zünglein an der Waage spielen, sondern Wagenknechts BSW. Sofern dadurch eine Abkehr von der umfassend verhängnisvollen Politik der Ampel, zuletzt bewiesen durch die Verramschung der Staatsbürgerschaft, bewirkt werden kann, wäre dies die mutmaßlich letzte Chance unseres Landes für eine Wende zum Besseren.

Prognosen sind unsicher, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen, wusste schon Karl Valentin. Eine Vorhersage kann angesichts der hier skizzierten Tendenzen bereits getroffen werden: Die deutsche Parteienlandschaft wird bunter werden, das politische System der "bunten" Bundesrepublik wird vielfältiger werden, die Debatten kontroverser, lebendiger und - hoffentlich - politisch fruchtbarer  als in den langen Jahren der grünen Hegemonie. Für die Ampel, für das linksliberale Establishment der Bundesrepublik, ist dies ein berechtigter Grund zur Aufregung.

Siehe auch: https://www.achgut.com/artikel/die_parteienlandschaft_wird_bunter

 


 

 

 

Dienstag, 19. Dezember 2023

Weihnachtliche Leitkultur unter Fachkräftemangel

I.

Mit distanziertem Interesse sehen wir den anstehenden Veranstaltungen zur Pflege der deutschen Leitkultur entgegen. Auf dem Programm stehen die -  bereits auf Konserve aufgenommene - Weihnachtsbotschaft des Bundespräsidenten Steinmeier sowie die entsprechende TV-Ansprache des Bundeskanzlers Scholz zu Neujahr. 

Die von den Festtagsredenschreibern verfassten Texte fürs Volk  umfassen vorhersehbar folgende Themen: 1) unser aller Erschütterung über den Horror des 7. Oktober und den Krieg in Gaza 2) die Erinnerung an die von Putin ausgelöste Zeitenwende und die demokratische Pflicht zur unzweideutigen Unterstützung für die Ukraine, dazu die Hoffnung auf baldigen Frieden 3) der Dank an unsere Soldatinnen und Soldaten, die fast siegreich aus Mali zurückgekehrt sind. Denn 3a): Frieden und Freiheit sind ein Geschenk, das demokratische Opferbereitschaft voraussetzt 4) die Verpflichtung zu Toleranz und allseitigem Respekt in unserer vielfältigen Gesellschaft auf der Basis unserer grundgesetzlichen Werteordnung  5) die Warnung vor den Versuchungen des Populismus und den Gefahren des Extremismus als Lehre aus der deutschen Geschichte.

Womöglich steht noch die Klimakrise im Themenkatalog. Denkbar ist ein besänftigendes Wort bezüglich der - nunmehr aufgrund der in Brüssel noch vor dem Fest beschlossenen restriktiven Kontrolle der EU-Außengrenzen vermeintlich behobenen - Asylkrise, verknüpft mit dem  Hinweis auf die für unsere wirtschaftliche Zukunft unseres Landes unerlässliche Einwanderung - nicht etwa "Zuwanderung" - von Fachkäften. Ermahnende Worte zum Bildungsstand des Volkes im Zeichen von PISA 2023 gilt es zu vermeiden. Auch der - von CDU-Chef Friedrich Merz mit "Leitkultur" assoziierte -  Begriff "Integration" sollte als Textbaustein keine Verwendung finden. Er könnte Fragen aufwerfen und die Feiertagsstimmung der postchristlichen Deutschen trüben.

II.

Die schon zeitlosen Themen "Fachkräftemangel" und "Integration" erhellen zwei jüngst erfahrene Episoden. In Parenthese: Anekdoten ("Einzelfälle") ergeben noch keinen aussagestarken Datensatz. Gleichwohl, sie erhellen des sozial-kulturellen Zustands unseres Landes.

Erste Episode: Im Büro meiner stets - Stichwort "Wintercheck" - zuverlässigen Autowerkstatt (Familienbetrieb) werde ich Zeuge einer eindringlichen Rede, die der Chef an einen etwa zwanzigjährigen Mann -  mit zwanzig Jahren standen ehedem die meisten Jungen längst im Beruf -  adressiert. Es geht um die Voraussetzungen einer Ausbildung zum Mechatroniker, um Lern-, Leistungs- und Gewissenhaftigkeit. Die Vermutung, der junge Mann habe sich soeben um eine Lehrstelle beworben, erweist sich als irrig. Er ist soeben gefeuert worden. Trotz mehrfacher Ermahnung/Abmahnung, zuletzt am Vortag, hat der Azubi, gebürtiger Deutscher, nach progressiver Terminologie POC, erneut "verschlafen". Wegen ähnlicher Versäumnisse ist ihm bereits an zwei früheren Lehrstellen gekündigt worden. Er habe dies mit "Ausländerfeindlichkeit" begründet, was ihm wohl auch für diese verpasste Chance in einer Werkstatt, in der hauptsächlich Mechaniker mit Migrationshintergrund arbeiten, als Ausrede dienen dürfte. Der junge Mann, soeben noch mit betretener Miene, verlässt den Raum, setzt sich in einen angejahrten, voluminösen BMW und rast wutentbrannt mit quietschenden Reifen über eine Linkskurve davon. Eine Fachkkraft weniger...

Zweite Episode: An der Theke zum Zuschneiden von Holzplatten in einem Baumarkt bin ich einem kräftigen, bärtigen Mann mit Migrationshintergrund beim Lösen einer Wartemarke aus einem Automaten behilflich. Er bedankt sich mit verlegenem Lächeln. Während sich das Warten auf das elektronische Signal über der Theke hinzieht, fällt mir auf der Brust des Mannes dessen kulturelles Markenzeichen ins Auge: am Halsband das Schwert des Islam. 

III.

Ist der Gedanke erlaubt, dass derlei Insignien zwar kulturelle "Vielfalt" demonstrieren, der "Integration" in unsere Wertegemeinschaft leider entgegenstehen? Ob es sich bei dem bärtigen Mann um eine Fachkraft handelte, war am Erscheinungsbild nicht zu erkennen. Falls der Bundespräsident wider Erwarten am Weihnachtstag das Thema "Integration"  ansprechen sollte, dürfte er - nicht nur aus Zeitgründen - darauf verzichten, ins politisch reale Detail zu gehen. 

Montag, 4. Dezember 2023

Über die Grenzen der Moral in einer Welt ohne Grenzen

I.

Für Leser (sc. -innen, ohne Gender*), die nicht bereits meinen Globkult-Beitrag zum Thema "Moral ohne Grenzen" gelesen haben, bringe ich ihn nachfolgend noch einmal zur Kenntnis. Was die unten dargestellten aktuellen Ausgaben für Migranten betrifft, so gibt es noch eine unbelegte, weit höhere Zahl von 50 Mrd. €. Welche Kosten - und Nachfolgekosten infolge der unverminderten "Asylkrise" anfallen, ist in der Tat schwer zu ergründen. Die evidenten menschlichen, materiellen und politischen Kosten -  die scheiternde Integration von integrationsverweigernden Immigranten - werden von der politisch-medialen classe diregente ohnehin heruntergespielt oder als "rechte" AfD-Propaganda abgetan. 

Vor diesem Hintergrund rückt in der -  je nach Wahrnehmung durch Schneefall weihnachtsliedermäßig besonders schönen oder von Unfällen, steigenden Energiekosten und Bahnausfällen beeinträchtigten - Weihnachtszeit der Zustand der Kirchen ins Bild. Er ist geprägt von hypertrophen Moralansprüchen und schwindender gesellschaftlicher Relevanz. Was den jahreszeitlichen Appell an unser aller Gewissen betrifft, so verweise ich zur Vermeidung von Redundanz auf meinen meinen letztjährigen Kommentar zum säkularen Ablasshandel: https://herbert-ammon.blogspot.com/2022/11/ablasshandel-zur-weihnachtszeit.html

Unklar bleibt die Frage - wenngleich angesichts der sehr unterschiedlichen Kriegslagen in der Ukraine und  im Gaza-Streifen  in aller zu erwartenden Unklarheit immerhin verständlich -, die Frage, wie denn die Friedensbotschaft der Kirchen und - unter dem Aspekt künftiger deutscher "Kriegstüchtigkeit" - die Weihnachts - und Neujahrsbotschaft von Bundeskanzler Scholz sowie von Bundespräsident Steinmeier ausfallen wird. Mit den von früher her gewohnten Moralappellen an das (post-)deutsche Volk und die Welt wird es jedenfalls nicht getan sein. 

II.

Alles hängt mit allem zusammen: Die durch das Karlsruher Urteil verhinderte Umschichtung der 60 Corona-Milliarden und die Lockerung der Schuldenbremse; Lindners Kehrtwendung beim Thema Schuldenbremse und Kubickis Kreuzfahrt-Bekenntnis zum liberalen Glaubenssatz solider Staatsfinanzen; der frühe Wintereinbruch -  vor dem globalen Klimawandel in unseren Breiten völlig normal - und die wegen Greta Thunbergs BDS-Bekenntnis - vorerst - in eine Krise geratene deutsche Klimarettung; die "Asylkrise" und die Sorge der Grünen-Parteispitze um die Ampel und um grünen Machtverlust angesichts der ewig jugendlichen, von grenzenloser Moral beseelten Parteibasis; der Rücktritt der EKD-Vorsitzenden Annette Kurschus und die Erosion der Kirchen in der postchristlichen Gesellschaft.  

Kritiker mögen diese Assoziationskette für weithergeholt, für gedankliche Willkür halten: Was hat die Aufhebung der grundgesetzlichen Schuldenbremse, der frühe Winter mit der Krise der Kirchen zu tun? Den roten Faden liefert der politisch aufgeladene Begriff von Moral. Der Reihe nach: Wegen des Urteils des BVerfG fehlen der Ampel mindestens 60 Mrd. Euro in ihrem Haushalt, die durch vorläufige  - vorläufig bis zur angestrebten Änderung des Grundgesetzes - Aussetzung der Schuldenbremse ersetzt werden sollen. Keine Milchmädchenrechnung, sondern schlichtes Faktum: Die Ausgaben für   "Geflüchtete"/"Flüchtende" (a.k.a. Migranten) belaufen sich im Jahr 2023 auf 27,6 Mrd. € pro Jahr, davon 10,7 Mrd. für die - sinnvolle, aber offenkundig wenig erfolgreiche - Bekämpfung von Fluchtursachen. (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/665598/umfrage/kosten-des-bundes-in-deutschland-durch-die-fluechtlingskrise/)

Das reicht Open-Border-Aktivisten wie der Jugendbasis der Grünen natürlich nicht aus, denn ihre Forderung nach offenen Grenzen für alle erfordert einfach höhere Summen. Zwar widersetzten sich auf dem Grünen-Parteitag in Karlsruhe Habeck, Ricarda Lang und selbst Göring-Eckardt der junggrünen Globalmoral, aber an den Fakten wird sich  hierzulande wenig ändern. Ein paar Abschiebungen mehr, von Nancy Faeser lautstark angekündigt,  bestätigen nur die bestehende Praxis.

III.

Kaum anders als die von aggressiver, realitätsferner Moral getragene grüne Jugend äußerte sich unlängst noch die  inzwischen wegen innerkirchlich noch ungeklärter Fragen - wieviel Bisexualität ist im Blick auf die LGBTQ-Bewegung einerseits, auf 1. Korinther 6, 1-11 andererseits, passabel? - zur Sexualmoral zum freiwilligen Amtsverzicht genötigte Kirchenchefin Kurschus. In einem - vor Bekanntwerden der protestantischen Missbrauchsgeschichte - in der FAZ publizierten Interview bekannte sie sich zur Klimarettung und zu United4Rescue - das Schiff "Humanity" liegt derzeit wegen fehlender Spendengelder für Diesel aus Deutschland im Hafen von Syrakus fest -, zur Nächstenliebe für die nicht zuletzt wegen des katastrophalen Klimas in subtropischen, tropischen, ariden, alpinen und sonstigen Zonen übers Mittelmeer zu uns (in "unser reiches Land") flüchtenden Migranten. (Siehe dazu meinen noch vor Kurschus´ Rückzug verfassten Kommentar: https://www.globkult.de/gesellschaft/identitaeten/2328-realitaetsverweigerung-als-frohe-botschaft). Erwähnt sei noch, dass sie auch eine Streichung der Kompromissformel von § 218 ("rechtswidrig, aber unter bestimmten Umständen straffrei") und eine Ausweitung der Fristenregelung auf fünf Monate propagierte.

Die Ex-Kirchenchefin interpretierte ihren Rücktritt als persönliches Opfer, um Schaden von der Kirche abzuwenden. An derlei Apologie nahm der Facebook-Autor Reinhard Klingenberg - vor seiner Ausbürgerung aus der DDR Anfang der 1980er Jahre Vikar in Thüringen - Anstoß. Er frage sich, "was das für eine christliche Grundhaltung ist." Kurschus habe jahrelang "den Missbrauch unter den Teppich gekehrt". Daraufhin meldete sich ein anderer Fb-friend zu Wort. Ihm missfiel, dass "Kurschus dem Rest des Landes [habe] vorhalten wollen, wieviele Flüchtlinge aus Afrika wir noch aufzunehmen haben. Brett-vorm-Kopf-unter-Strom und Kurzschluß sind leider typische Vertreter einer Kirche, die das eigentliche Ziel aus den Augen verliert: Seelsorge und Hilfe für die hier lebenden Menschen anstatt Rettungsschiffe für das Mittelmeer kaufen." 

Klingenberg wies derlei Polemik zurück als "ein seltsames christliches Verständnis, was Du da propagierst! Nächstenliebe kennt keine Grenzen und wir haben nur eine Welt" usw. Sodann das säkulare, protestantisch-pietistisch eingefärbte Confiteor: "An den Krisen dieser Welt haben wir (!) ja selber einen nicht unerheblichen Anteil." Am Ende traf der Bannfluch den ungläubigen Fb-Genossen: "Was Du da verkündest (,) ist AFD-Geschwurbel und Trumpismus!"

Der frühere Vikar ist  - stellvertretend für manch andere Protagonisten schlichter Gesinnungsethik - an die im Gefolge der "Flüchtlingskrise" anno 2015 von dem Theologen Richard Schröder (SPD-Vorkämpfer der deutschen Einheit in der frei gewählten Volkskammer 1990) vorgetragene Kritik an grenzenloser Migration zu erinnern. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lukas 10, 25–37) explizierend, betonte Schröder wiederholt die Pflicht und die Grenzen christlicher Hilfeleistung. (https://www.globkult.de/politik/deutschland/1428-was-wir-den-migranten-schulden-und-was-nicht?)https://www.nzz.ch/international/ungerechte-seenotretter-theologe-richard-schroeder-im-interview-ld.1504989) Selbst die Ex-Kirchenchefin musste im erwähnten Interview einräumen, dass die Nächstenliebe - sprich Aufnahmebereitschaft - bei einer "Selbstaufgabe" an ihre Grenze stoße.  

IV.

In dem Facebook-Disput ging es auch um die für Klingenberg unzulässige Verknüpfung von sexuellem Missbrauch und der Flüchtlingsproblematik. Tatsächlich besteht ein Zusammenhang in der - nicht nur - protestantischen Psychologie: Der Anspruch auf absolute Moral schützt - bis zum peinlichen Nachweis der Verfehlung der Wirklichkeit - vor Selbstzweifel.

Unter Bedford-Strohm und unter Kurschus an der Spitze der EKD wurden die von Richard Schröder verantwortungsethisch definierten Grenzen christlicher Moral verwischt. Was kommt nach Kurschus? Eine Antwort auf diese Frage ist erst im nächsten Kirchenjahr zu erwarten. 

Die vielen anderen bedrängenden Fragen werden aller geschichtlichen Evidenz nach nicht nach moralischen Maximen, sondern - meist moralisch verbrämt - mit Machtmitteln beantwortet. Das passt nicht ganz zum grünen deutschen Glauben.


Freitag, 1. Dezember 2023

Henry Kissinger - anstelle eines Nachrufs

Alle Zeitungen der Welt, gedruckt oder nur noch online, widmen in diesen Tagen dem mit 100 Jahren verstorbenen Henry Kissinger umfangreiche Nachrufe. Dem Lesepublikum meines Blogs empfehle ich den Aufsatz des New York Times-Autors Davd E. Sanger zu einer ausgewogenen Beurteilung der Leistungen und der Fragwürdigkeiten des außergewöhnlichen Staatsmannes: https://www.nytimes.com/2023/11/29/us/henry-kissinger-dead.html?

Kissinger verstand sich als Protagonist des historischen und politischen Realismus. In seinen Büchern wie in seiner politischen Praxis wandte er sich gegen hochfliegenden Idealismus, wie er ihn im "Wilsonianismus" ("the war to end all wars"; "ro make the world safe for democracy") verkörpert sah. Letztlich bedeutete dies auch die Zurückweisung der Idee Kants vom ewigen Frieden. Kritikern erschien sein persönliches Machtstreben, erst recht seine Machtpolitik im Dienste der Weltmacht USA als amoralischer Machiavellismus, was zumindest für Kissingers Leitbegriff eines von Mal zu Mal zu tarierenden machtpolitischen Gleichgewichts in der Staatenwelt nicht zutrifft. 

Sein Konzept einer auch noch im 21. Jahrhundert praktikablen Weltordnung entwickelte er 2014 unter dem Stichwort "Westfälischer Frieden" (siehe dazu meinen Rezensionessay https://www.iablis.de/iablis/themen/2016-die-korruption-der-oeffentlichen-dinge/rezensionen-2016/115-kissingers-amerikanische-weltordnung). Leadership  verband er in seinem letzten Buch (2022) - unter dem deutschen Titel erschienen als "Staatskunst" - mit den Namen Konrad Adenauer, Charles de Gaulle, Richard Nixon, Anwar as-Sadat, Lee Kuan Yew und Maragaret Thatcher.

Als Historiker beschrieb Kissinger, ausgehend von der "realistischen" Großmachtdiplomatie auf dem Wiener Kongress, die Wirkkraft der Fakten und sparte mit der Ausgestaltung von Hypothesen oder kontrafaktischen Überlegungen. Anstelle eines weiteren Nachrufs sei die Überlegung gestattet: Was wäre aus Henry Kissinger - geboren im deutschen Krisenjahr 1923 in Fürth, 1938 vor den Nazis aus Deutschland geflohen -, was wäre aus dem Land seiner Geburt geworden, wenn anno 1933 nicht die "Machtergreifung" Hitlers - realiter die aus einem Intrigenspiel resultierende Machtübertragung - stattgefunden hätte?

 

Montag, 13. November 2023

Schöne Aussichten

Zerbricht die Ampel? Geht Hessen voran? Gelingt es, den Zustrom von "Geflüchteten" - die Migrationsströme- zu drosseln? Und wie? Spielt Brüssel, genauer: spielen alle EU-Schwesterländer mit? Welche Fahnen dürfen bei deutschen Demos (terminus popularis für Aufzüge, Kundgebungen, polizeilich angemeldete Meinungsbekundungen, frz. manif, populäre Kurzform für manifestation) in Zukunft geschwenkt werden? Wie integrieren wir deutsche Express-Neubürger in die deutsche Gedächtnis- und Gedenkkultur (mémoire collective)? Woher kommen die ungegenderten "Lehrpersonen", die bestrebt sind, die lieben Kleinen in Neukölln und anderswo zu wehrtüchtigen Demokraten (w/m/d) zu sozialisieren?

Wer hat ein Konzept für Nahost nach dem Gaza-Krieg? Wie lange hält die Ukraine gegen Putin durch?  Sichern die noch anzuwerbenden Fachkräfte unsere Renten? Kompensiert der neue youth bulge den indigenen age bulge? Wie lässt sich das Verhältnis von guter Gesinnung und hässlicher Wirklichkeit, von Moral- und Realpolitik bestimmen? Was sagt die derzeit tagende Synode der EKD dazu? Nimmt sie meinen diesbezüglichen Globkult-Aufsatz https://www.globkult.de/gesellschaft/identitaeten/2328-realitaetsverweigerung-als-frohe-botschaft zur Kenntnis (und zu Herzen)?   Last but not least: Wie kommt die deutsche Wirtschaft aus der derzeitigen Flaute zu neuem nachhaltigen Wachstum (sustainable growth)? Wieviel Schulden, wieviel Inflation sind dem Volk zumutbar?

Fragen über Fragen, allesamt schwer zu beantworten...Anstelle eines unergiebigen Kommentars zu den von den unerfreulichen Zeitläuften aufgeworfenen Fragen verweise ich auf Früchte meiner Morgenlektüre. Hoffnung durchzieht den Aufsatz von Matthias Alexander in der heutigen FAZ.  (nr, 264 v.13.11.2023, S.9). Unter dem Titel "So grün wird es nicht wieder" heißt es in der Zweitüberschrift: "Gendern war gestern, jetzt wird abgeschoben." Das Eckpunktepapier der neuen CDU-SPD-Koalition in Hessen zeige "den Beginn einer  neuen politischen Ära an". "Neue Ära" klingt gut, wenn sie denn auch noch käme!

Ganz anders, betrübt, ja hoffungslos  (auf Seite18) blickt der Leserbriefschreiber Peter Lang in unsere Zukunft. Er stellt seine knappe, nichtdestoweniger analytisch fundierte Prognose unter die zeitlos deutsche Verszeile von Heinrich Heine "Denk ich an Deutschland in der Nacht". Er schreibt: "Diese Nacht scheint sich nun langsam über das Land zu senken. die Deutschen nmüssen sich aber nicht sorgen: In vielen europäischen Ländern sind die Verhältnisse ähnlich. In Europa gehen die Lichter aus."

 


Donnerstag, 9. November 2023

Anmerkung zum Gedenktag am 9.November 2023

Am 9. November 2023 rückt in Deutschland die Erinnerung an die von nazistischen Schlägerbanden in zahllosen deutschen Städten und Dörfern verübten Schreckenstaten am 9. und 10.  November 1938 ins Zentrum des Gedenkens. Sie überlagert - abgesehen von Gedenkartikeln zum gescheiterten Hitler-Ludendorff-Putsch vor 100 Jahren - die Erinnerung an andere geschichtsträchtige, mit dem Novemberdatum assoziierte Ereignisse, einschließlich des Mauerfalls. Nichtsdestoweniger ragen in das Gedenken am heutigen 9. November die Szenen des am 7. Oktober 2023 auf grauenvolle Weise von der Terror-Organisation Hamas eröffneten Gaza-Krieges hinein. 

Auf eindringliche Weise stellt Chaim Noll in einem Aufsatz auf der "Achse des Guten" die - beim Thema "Antisemitismus"- weithin gemiedene Verknüpfung zwischen der deutschen Vergangenheit und der heutigen deutschen Gesellschaft her: "[Deutsche Politiker] werden wunderbare Reden halten am 9. November über die Notwendigkeit, die Juden in Deutschland zu schützen und die Werte der Demokratie hochzuhalten, ein paar Feierstunden lang wird die Stimmung gehoben und zuversichtlich sein, und schon der nächste Tag wird zeigen: Die Reden sind gute Vorsätze, doch den grauen Alltag, den Schulhof, die Straße überlässt man wie damals den brüllenden Barbaren."  https://www.achgut.com/artikel/zum_9._november_bruellende_barbaren

Nolls aufrüttelnde Sätze könnten sich auf die Rede beziehen, die Bundespräsident Steinmmeier anlässlich des 9. November vor einer Gruppe geladenern Gäste, daruntere die 102 jährigen Holocaust-Überlebende Margot Friedländer, gehalten hat. Er bezeichnete Deutschland als ein "Land mit Migrationshintergrund"  und das Grundgesetz als "Fundament unseres Zusammenlebens, das freiheit für alle garantiert, Bedrohung und Diskriminierung aber ausschließt."  

Die Rede des Bundespräsidenten von "Deutschland als Land mit Migrationshintergrund" ist gut gemeint. Die mit der allseits  beförderten Entwicklung zu einer "modernen Einwanderungsgesellschaft" verknüpften Fragen nach der Integrationskraft einer bedrückenden und verstörenden Gedenkkultur bleiben in derlei Worten erneut unbeantwortet. 

Von  Ausnahmen  - wie der oben zitierte Alarmruf von Chaim Noll -  abgesehen, stößt kritische Reflexion über die künftige ideelle Verfassung unseres Landes - jenseits des permanent als unverrückbar deklarierten Wertegrundlage des Grundgesetzes ("Verfassungspatriotismus") - sowie in concreto über die künftige Relevanz von historischen Gedenktagen auf Unverständnis oder auf indignierte Zurückweisung.  Wer auf die - in den Szenen auf deutschen Straßen und Plätzen manifesten - Gefahren kultureller Desintegration verweist, wird als "rechts" verteufelt.

Anstelle einer umfassenden Kritik der Problematik nationalen Gedenkens in der postnationalen Gesellschaft der Bundesrepublik verweise ich auf einen bereits anno 2015verfassten Aufsatz: https://www.globkult.de/politik/deutschland/985-fragen-zu-deutschem-gedenken-unter-den-bedingungen-einer-neuen-gesellschaft Außerdem wird die Thematik in meinem Gedenkaufsatz für Ulrich Schacht berührt:  https://www.globkult.de/geschichte/zeitgeschichte/2081-historische-schuld-und-politische-gegenwart 

Mittwoch, 11. Oktober 2023

Der Grünen-Nachwuchs kämpft jetzt mehr für soziale Gerechtigkeit

Wie geht es wohl weiter, wenn Claudia Roth, Robert Habeck und Steffi Lemke in den verdienten politischen Ruhestand eintreten und ihr geistiger Führungsanspruch an den grünen Nachwuchs übergeht? Aus einem Interview der FAZ (v. 11.10.2023) mit Sarah-Lee Heinrich, der Bundessprecherin ( grünes und AfD-Synonym für "Vorsitzende") der Grünen Jugend, können wir uns ein Bild von den künftigen grünen Führungsqualitäten machen. Befragt nach ihren Folgerungen aus den jüngsten Landtagswahlen, erklärte Sarah-Lee, die Ursache für das - von den grünen Parteichargen als "zweitbestes Ergebnis" ihrer Geschichte schöngeredete - Ergebnis, liege daran, die Ampel habe "das Thema soziale Gerechtigkeit nicht ordentlich bearbeitet, das muss sich ändern."

Die soziale Gerechtigkeit benennt Sarah-Lee - ohne die politische Konkurenz die geschrumpfte "Linke" und die erfolgreiche, auf ihre spezifische Weise sozial orientierte AfD - zu bedenken, als Kernthema der Grünen. Ganz persönlich will sie, "dass es allen Menschen gut geht." Sie hat erkannt, dass Habecks - von seinem einstigen, nepotisch verbundenen Staatssekretär Glaichen ersonnenes -  Wärmepumpenprogramm den Grünen bei den Menschen eine Menge Stimmen kostete. Es war offenkundig nicht sozial gernug.

Die Grünen, die bislang "immer noch von Menschen mit dem höchsten Bildungsabschluss" (!) gewählt worden seien, müssten ihre Wählerbasis verbreitern und diejenigen erreichen, "die gerade Abstiegsängste haben". Die sollten nicht länger "rechten Erzählungen nachlaufen", sondern für die Grünen - nach Sarah-Lees Wunschvorstellung die Interessenvertreter der Mehrheit - gewonnen werden.   "Deswegen gehört die Verteilungsfrage nach vorne."

Für die grüne Nachwuchschefin  ist "soziale Gerechtigkeit der Grundstein für Klimaschutz oder eine solidarische Migrationspolitik". Den Einwand der Interviewerin, die Migration verschärfe die Verteilungsfrage, lässt sie nicht gelten. Wenn es beispielsweise an Wohnungen für 30 Leute fehle, "und dann kommt noch ein Geflüchteter dazu", sei das kein Problem. "Man muss 30 Wohnungen bauen statt einen Menschen wegzuschicken."

Sarah-Lee geht es um "gute Sozialpolitik", um der AfD "damit den Nährboden zu entziehen." Nötig sei parallel zu einem "Sozialcheck" ein "Klimacheck" für den Klimaschutz, der wiederum - anstelle einer ungerechten CO2-Steuer - durch ein Klimageld erreicht werden könne. Die junge Grüne weiß natürlich, dass dies ohne Geld aus der Staatskasse nicht zu machen ist, deshalb hält sie die Schuldenbremse für "Quatsch", ebenso Quatsch wie Nachsicht gegenüber den "Superreichen". Der Koalitionsvertrag? Die Ampel habe es "schon mehrmals hingekriegt, sich darüber hinwegzusetzen." In diesem Punkt hat die junge Grüne ohne Frage recht.

Zu Sarah-Lees  Kampf für globale soziale Gerechtigkeit gehört, allen geflüchteten Menschen "eine Bleibeperspektive zu ermöglichen". Derlei Sinn für Gerechtigkeit unterscheidet die grüne Nachwuchspolitikerin von der Grünen-Vorstzenden Ricarda Lang, die jüngst - termingerecht vor den Hessen- und Bayernwahlen -  "mehr Tempo" bei Abschiegungen forderte. Sarah-Lee richtet den Blick - im Unterschied zu allen, die vermeinten, mit Stacheldraht den Fluchtursachen zu begegnen - auf die "globalen Probleme". EU und Deutschland müssten sich fragen, "was sie eigentlich für eine gerechte Welt tun." Sie hat die Frage für sich bereits beantwortet.

Mit ihrer Vorstellung von "sozialer Gerechtigkeit" verfügt Sarah-Lee Heinrich zwar noch nicht über ein ausgefeiltes Programm zur Lösung der globalen Zukunftsfragen. Immerhin verfügt sie über ein starkes Selbstbewusstsein und beherrscht die Phraseologie, die in diesem unseren Lande der politische Nachwuchs für seine Karriere benötigt.