Donnerstag, 4. Februar 2016

Leserbriefe II - und Raum für ungewollte Satire

I.
In meinem vorletzten Eintrag (http://herbert-ammon.blogspot.de/2016/01/unbotmaige-fakten-per-leserbrief-ultima.html v. 25.Januar 2015) fand ich lobende Worte für die pluralistische, für Kritik und divergierende Meinungen offene Haltung der FAZ-Leserbriefseite. Dies gilt auch für die heutige Ausgabe (04.02,2016, S. 29), in der in zwei Zuschriften die auf Sozialethik, politisch passend auf die "Asylkrise", sowie auf universale Weltoffenheit reduzierte frohe Botschaft der beiden Kirchen fundierter Kritik unterzogen wird ("Christliche Sozialethik, o je"; "Die Kirchen und die Islamkritik").

Aus dem erstgenannten Leserbrief sei folgender Passus zitiert: "Die christliche Sozialethik ist in der Vergangenheit allen Modethemen hinterhergelaufen, von Gender über Inklusion bis Postdemokratie. Nun sitzen die Bischöfe einer moralisierenden Willkommenskultur auf, die nicht mehr zwischen legitimen Asylgründen, ungerechtfertigter Einwanderung oder Kriminalität zu differenzieren vermag.  Vergessen ist das hohe Reflexionsniveau, das die christliche Staatslehre einmal auszeichnete und das Europa geistesgeschichtlich stark gemacht hat. Souveränität, Staatsräson, Ordre public, Leistungefähigkeit des Staates oder die kulturelle Identität des Staasvolkes scheinen für die Bischöfe inzwischen unbekannte Vokabeln zu sein. Als sozialethisch kluge Ratgeber angesichts des derzeitigen Staatsversagens fallen die Kirchen leider aus."

II.
Hinzuzufügen bleibt an dieser Stelle, dass die Zahl der Kirchenaustritte aus der EKD im Jahre 2015 mit 270 000 einen neuen Rekord erreicht hat. Die Kirchenoberen deuten das für sie unbequeme Faktum mit der schlichten Aussage, der Exodus habe mit Geld und Geiz, also nichts mit dem Glaubensverlust der einst Gläubigen, mit dem Glaubwürdigkeitsverlust der Kirchenoberen und ihrer Theologie, kurz: mit der Banalität der Postmoderne, zu tun. Bei den Abtrünnigen handle es sich hauptsächlich um dem Mammon zugetane Scheinchristen, die sich aus Ärger über die durch Kirchensteuer zusätzlich zur Kapitalertragssteuer geminderten Kapitaleinkünfte davongemacht hätten. Das mag für ein paar besitzbürgerliche Nichtkirchengänger in Hamburg, in der Rhein-Main-Gegend oder in Oberbayern durchaus zutreffen, nicht jedoch für die anhaltende Zahl von Austritten in den östlichen Landeskirchen. Es dürfte sich bei den Kirchenflüchtigen um nicht wenige halten, die in den Jahrzehnten des atheistischen DDR-Staates ihrer Kirche die Treue gehalten hatten.


Womöglich sind es auch deren Kinder, die in einem Prozess nachgeholter Wertesozialisation sich westlicher Weltlichkeit (samt  Hypermoral) zugewandt haben.  Der Blogger, noch unentwegter Kirchensteuerzahler, sieht diesbezüglich einer von Bundeskanzlerin Merkel ("Wer Angst hat vor einer Islamisierung hat, dem sage ich, er soll doch wieder mehr in die Kirche gehen" - frei zitiert) oder der Reformationsexpertin Käßmann anzuregenden kirchensoziologischen Untersuchung  mit Interesse entgegen.

Vorschlag für eine Umfrage: 1) "Halten Sie 9 Prozent Kirchensteuer auf Ihre Einkommensteuer für zu hoch?" - Ja/Nein/Weiß nicht 2) Welche Weltreligionen kennen Sie? - Offene Antwort. Mehrere Nennungen möglich. 3) Glauben Sie an die abrahamitische Trinitätslehre? - Ja/Nein/Weiß nicht? 4) Stehen Ihnen die christlichen Glaubensbrüder im Nahen Osten näher als die bärtigen Imame in Ihrer Nachbarschaft? - Ja/Nein/Weiß nicht. Wenn ja, welche?/ Ich wohne nicht in der Nachbarschaft 5) Sollte die Scharia mit den 10 Geboten kombiniert werden oder genügt Ihnen eine demokratische Werteerziehung?  - Ja/Nein/Weiß nicht.

III.
Zur Erhellung der bundesrepublikanischen Geistesverfassung  sei noch aus der -  auf der erwähnten Seite unter der  proklamatorischen Überschrift  "Unser Land wird sich verändern" obenan gestellte - Zuschrift einer Leserin zitiert: "Die CDU ist Welten entfernt von meinen Überzeugungen. [...] Aber an diesem Punkt [keine Einschränkung des Asylrechts] bin ich zum ersten Mal in [Merkels] Kanzlerschaft mit ihr einig. Wir sind ein sehr reiches Land mit einer sehr gut gesicherten Bevölkerung, in der jetzt viele noch rüstige Rentner und Pensionäre nun ein Betätigungsfeld gefunden haben, Deutschunterricht geben, Fußballtrainer werden, Rechtsberatung anbieten, Kleiderkammern verwalten und ähnliche gute Dinge tun. Und ein Land, in dem die Arbeitslosigkeit auch dank der Flüchtlinge auf ein erstaunlich niedriges Niveau gesunken ist. Es gibt noch viel zu tun, und die Strukturen müssen verbessert und weiterentwickelt werden. Klar. Ohne Risiko ist das alles nicht. Unser Land wird sich verändern. Für die Richtung tragen wir die Verantwortung. Aber ein Land im Chaos oder rechtsfreien Raum sind wir wahrlich nicht."

Zitatende. Für den Text trägt die Leserbriefschreiberin aus Dortmund die Verantwortung. Wenn bei einem Leser (sc. einer Leserin)  des Blogs der Eindruck entstanden sein sollte, es handle sich bei dem zweiten Leserbrief  um Satire, so befindet er/sie sich im Irrtum.




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